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Noch 'ne Prise zersetztes Eiweiß

■ Sie ist in jedem Fertiggericht zu finden, wird in Restaurants und von Hobbyköchen fleißig benutzt: Würze. Eine kleine Warenkunde

Raten Sie mal, woraus Würze besteht? Zum Beispiel aus Sojaexpeller, der in Salzsäure aufgelöst wurde. Wissen Sie, daß deutscher Kaviar nichts anderes ist als das aromatisierte und gefärbte Gelege eines knorpeligen Fisches namens Lump? Oder woher der Flüssigrauch für unsere sauberen deutschen Wurstwaren kam? Aus der Rauchgasreinigung besonders ergiebiger Schlote. Es gibt kaum etwas, das nicht als Rohstoff herhalten mußte, angefangen von den Sulfitablaugen der Papierfabriken zur Vanillingewinnung bis hin zu den sprichwörtlichen Chinesenhaaren für den Cystein-Zusatz im Brötchen.

Doch zurück zur Würze. Die Mehrheit der Bundesbürger bevorzugt zur Verfeinerung ihrer Speisen Flüssigwürze oder Brühwürfel. Wer aber glaubt, damit die ungestüme Kraft des Rindermuskels zu tanken, irrt. Keine Rede von Fleischeslust. Die Grundlage bilden Sojaschrote und Maiskleber. Sojaschrot fällt an, wenn das Öl mit Leichtbenzin aus der Bohne gelöst wird; Maiskleber ist ein Abfallprodukt der Zuckerherstellung (Glucosesirup). Die Herstellung ist simpel: Das Eiweiß wird mit viel konzentrierter Salzsäure gekocht, bis es sich auflöst, und dann mit Natriumcarbonat oder konzentrierter Natronlauge neutralisiert. Dabei entsteht jede Menge Kochsalz. Die Lösung wird filtriert und gelagert.

Sie sind Vegetarier? Sie verwenden sowieso nur Hefepaste zum Würzen? Der unverwechselbaren Beigeschmack dieses natürlichen Fleischsaftimitats kommt von einem Abbauprodukt des Vitamins B1. Am elegantesten und schonendesten wird es durch die „Selbstverdauung“ der Hefe, die Autolyse, gewonnen: Zunächst läßt der Produzent die Hefe auf Zucker oder Melasse mit allerlei Nährzusätzen wachsen. Dann folgen ein Hitzeschock oder eine Zugabe von Salz mit einem Lösungsmittel wie Trichloräthylen. Nach 24 Stunden hat sich die Hefe zersetzt. Für bessere Qualitäten werden die unlöslichen Zelltrümmer abgetrennt und das Autolysat eingedickt.

Würze, die übrigens immer aus zersetztem Eiweiß und mitnichten aus Kräuter- oder Fleischextrakten besteht, schlucken Sie mit Fertiggerichten, in Restaurants und Kantinen. Würze verdeckt Qualitätsmängel und schafft auch dort Gaumenfreuden, wo sich sonst der Appetit verweigern könnte. Udo Pollmer

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