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Mit dem Rasenmäher durch die Kirche

Um ihr Haushaltsloch zu stopfen, will die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg bis 1998 massiv Stellen abbauen. MitarbeiterInnen protestieren und diskutieren Solidarmodelle  ■ Von Christoph Schäfer

Die Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg will im großen Stil Stellen abbauen. Das sieht der Haushaltsentwurf für die Jahre 1997/98 vor, den die ab morgen tagende Synode absegnen soll. Demnach sollen bis Anfang 1998 etwa 1.300 der insgesamt rund 9.000 Arbeitsplätze in der evangelischen Kirche wegfallen. Gestrichen werden dabei nicht nur unbesetzte Stellen, räumt Pressesprecher Reinhard Stawinski ein, die Landeskirche müsse auch MitarbeiterInnen entlassen. Es trifft Vikare und Putzfrauen, Lehrer und Sozialarbeiter. „Wir müssen so dringend sparen, daß es leider keine Tabus mehr gibt“, sagt Peter Wilkening, Finanzreferent des Konsistoriums. Im Etat, der 1,3 Milliarden Mark umfaßt, sollen über siebzig Millionen eingespart werden.

Der Grund: Die Landeskirche steckt finanziell in der Klemme. Sie muß sich in diesem Jahr mit acht Prozent weniger Geld aus Kirchensteuereinnahmen begnügen. Etwa tausend der rund 1,3 Millionen Mitglieder treten nämlich jeden Monat aus der Landeskirche aus. Und da der Staat seit Jahresanfang das Existenzminimum nicht mehr besteuert, gibt es auch weniger vom Lohnsteuerkuchen.

In diesem Jahr mußte die Landeskirche bereits auf 40 Millionen Mark aus ihren Rücklagen zurückgreifen, um ein Haushaltsloch zu stopfen. Das kann sie sich laut Peter Wilkening auf die Dauer nicht leisten. Schon gar nicht, wenn es 1999 aufgrund der geplanten Steuerreform noch weniger Geld für die Kirchen gibt. Pressesprecher Etwa 1.300 von 9.000 Stellen sollen wegfallen

Stawinski hält es für kurzsichtig, jetzt einfach die wertvollen Kirchengrundstücke zu verkaufen: „Am Ende sind sie weg, und das war's dann.“ Außerdem hätten viele Grundstücke nur einen theoretischen Wert: „Natürlich würde man für das Gelände, auf dem die Gedächtniskirche steht, ein Vermögen bekommen. Aber wer will die schon kaufen?“

Daher tritt die Kirchenleitung jetzt auf die Notbremse – und streicht in allen Bereichen: In der Krankenhausseelsorge werden von 81 Stellen nur 26 übrigbleiben. Das Oberlin-Seminar, eine Fachschule für Sozialpädagogik und Sozialwesen, wird ganz geschlossen. Dadurch fallen 34 Arbeitsplätze und fast 300 Ausbildungsstellen weg. Auch das Praktische Theologische Ausbildungsinstitut, in dem künftige PfarrerInnen auf die Praxis vorbereitet werden, steht vor dem Aus. Das Amt des Umweltschutzbeauftragten wird gestrichen. Und im Denkmalschutz soll die Kirche 1998 nur ein Viertel der Geldsumme ausgeben, die ihr in diesem Jahr zur Verfügung steht. Am stärksten treffen die Sparmaßnahmen die Verwaltung. Hier soll in den nächsten Jahren die Hälfte der rund achthundert Stellen verschwinden.

Doch die MitarbeiterInnen wollen sich nicht gottergeben in ihr Schicksal fügen. Im Gegenteil: Sie protestieren. Der Personalrat des Oberlin-Seminars bezeichnet die Schließungspläne als „selbstzerstörerisch“ und einen „sozialpolitischen Skandal“. Denn da der Staat die LehrerInnen bezahle, würde die Kirche durch die Schließung kaum Geld sparen. Auch im Konsistorium ist die Stimmung angespannt. Personalratsvorsitzender Peter Kittlitz erklärt: „Die Leute sind äußerst beunruhigt.“ Sie seien fassungslos darüber, daß die Kirchenleitung niemals offen mit ihnen geredet habe.

„Ich bin ja gut erzogen, aber das kann ich nur als Schweinerei bezeichnen“, schimpft empört die Mitarbeiterin einer anderen kirchlichen Einrichtung, die fest mit der Kündigung rechnet. Sie empfindet es als Hohn, daß in „typischem Kirchenton“ nach außen hin behauptet werde: „Wir kümmern uns um die Leute.“ Und dann serviere man sie trotzdem einfach ab.

„Wir tun, was wir können, um jede einzelne Kündigung zu vermeiden“, heißt es von der Kirchenleitung. Gerade das aber glauben Lohnkürzung für Spitzenverdiener?

ihr viele MitarbeiterInnen nicht: Sie fordern unter anderem die Absenkung der Gehälter kirchlicher Spitzenverdiener. Dadurch könnten bis zu elf Millionen Mark gespart und 220 Stellen erhalten werden, heißt es in einem Flugblatt, das auf der Synode vorgelegt und diskutiert werden soll. Das Kirchenparlament solle nur den Haushalt 1997 beschließen, um im dann folgenden Jahr „solidarische Modelle des Teilens von Arbeit und Einkommen“ zu erproben. Außerdem solle nach dem Vorbild der bayerischen Landeskirche ein Solidarfonds eingerichtet werden, in den gutverdienende Gläubige einzahlen könnten. Die Finanzkrise, so der Verband kirchlicher Mitarbeiter, resultiere auch aus „erheblichen Fehlern“ bei der Finanzpolitik der Vergangenheit. Die Sparpolitik führe zu Ungerechtigkeiten und nähme den MitarbeiterInnen die Motivation, sich für die Kirche weiter zu engagieren. Unverzüglich müsse die Kirchensteuer von der Einkommenssteuer gelöst werden. „Ansonsten kommt jede Form der kirchlichen Arbeit zum Erliegen“, heißt es.

Sparen mit Phantasie will nach dem Vorbild der Landeskirche Hannover etwa die „Fünf-Prozent- Initiative“, an der Pfarrer Henning Utpatel in Lichtenberg-Fennpfuhl beteiligt ist. Er finanziert mit einem Kollegen durch einen Teil ihrer Gehälter einen Pädagogen für die Jugendarbeit. Utpatel äußert zwar die vage Hoffnung, daß auf der Synode solche Modelle weiterentwickelt werden. Aber er ist skeptisch: „So etwas wurde bisher viel zu schnell ausgebremst.“ Die Leitung lobt zwar die Bereitschaft zur Solidarität, sieht dies aber nicht als Lösungsweg für die „riesigen finanziellen Probleme“. Utpatel hält dagegen: „Die Kirche darf einfach nicht dabei mitmachen, Arbeitslosigkeit zu produzieren.“

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