: Scherz aus elf Metern
■ St. Pauli unterliegt im Elfmeterschießen bei Energie Cottbus, die Amateure stehen damit im Halbfinale des DFB-Pokals
Cottbus (taz) – Es wurde schon mächtig Nacht über Cottbus, als sich aus vielen Kehlen dasselbe Wort gen Himmel erhob: „Berlin“. So weit ist es noch nicht ganz. Immerhin: Ein „Stern leuchtet deutschlandweit“. Das hat Waldemar Kleinschmidt gesagt, der Oberbürgermeister. Was er meint: Energie Cottbus steht im Halbfinale des DFB-Pokals. Der Regionalligist schlug gestern nachmittag den Bundesligisten FC St. Pauli mit 5:4 im Elfmeterschießen. Mathias Scherz hatte den entscheidenden Elfer schwächlich auf Keeper Wehner geschoben, Der Cottbuser Mike Jesse zuvor seinen Strafstoß mit Wucht, Wut und Vollspann über Torwart Thomforde hinweg unter die Latte gekickt. Es war auch diese entscheidende Szene eine, in denen sich die Cottbuser Spielweise präzise widerspiegelte.
„100 Prozent Einstellung, 90 Minuten Konzentration und höchste Disziplin“, pflegt Trainer Eduard Geyer von seinem Team zu verlangen. Das ist kein Gerede. Die Energie-Profis können rennen, ohne irgendwann umzufallen. 30 Sekunden hatte es gedauert, bis Melzig nach dem ersten Eckball zum Kopfstoß kam. Danach zeigte sich schnell, daß der Stürmer Frank Konetzke für seinen Gegenspieler Pedersen schlicht eine Klasse zu gut war. Maslo stellte Stanislawski gegen den Glatzkopf, und es wurde besser. Etwas besser. Was Konetzke machte, rannte und nach hinten arbeitete, war aber immer noch erstaunlich.
Was St. Pauli machte, war auch erstaunlich. Erstaunlich wenig. Der Bundesligist war bereits am Sonntag in der Lausitz angekommen. Um sich nämlich gewissenhaft, auf den, wie Spielführer Carsten Pröpper es nannte, „größten Erfolg in der Vereinsgeschichte“ vorzubereiten. Dann spielte man allerdings wie ein verängstigter Abstiegsaspirant, der auswärts eventuell einen Punkt holen möchte. Gegen die Cottbuser Physis und läuferische Überlegenheit kam man nur in den ersten 30 Minuten der zweiten Hälfte an.
Überhaupt fiel auf: Das Selbstvertrauen des Tabellenführers der Regionalliga Nordost ist gewaltig. Das Team wollte nicht versuchen, zu gewinnen, es wollte schlicht nichts anderes als gewinnen. Libero Hossmang, zum Beispiel, schoß früh einen Freistoß aus 35 Metern wuchtig auf Thomfordes Tor: Obacht, hieß das: Wir kommen.
Energie hatte zuvor 28 Regionalligaspiele und acht Pokalspiele nicht verloren, im DFB-Pokal zwei Zweitligisten und vor drei Wochen den Bundesligisten MSV Duisburg ausgeschaltet. Zwar nur im Elfmeterschießen, doch auch dort war man die bessere Mannschaft gewesen. Seither hat sich in Cottbus einiges getan. Da ist nicht nur die gestiegene Lebensqualität der Fußballer, die plötzlich manch ein Mitbürger auf der Straße erkennt. Die Zuschauerzahlen in der Regionalliga steigen mächtig, zuletzt kamen 4.500 zur Partie gegen Leipzig. Im Februar, rechtzeitig zum Pokalhalbfinale, soll das Einmillionenprojekt Flutlichtanlage erledigt werden.
Der Verein sagt, er sei schuldenfrei. Gestern sahen offiziell 12.000 zu. Betriebe gaben ihren Arbeitern früher frei und ermöglichten so den Besuch. Der ORB übertrug live im Fernsehen. Das Geld, das der Pokal gebracht hat, soll in einen Spielmacher investiert werden. Damit der Stern über Cottbus die Stadt noch etwas länger erleuchte. Oder gar nach Berlin führen möge. Peter Unfried
St. Pauli: Thomforde – Trulsen – Eigner, Pedersen (46. Scherz), Hanke, Sobotzik, Pröpper, Springer, Stanislawski – Schweissing (90. Bochtler), Pisarew (46. Scharping)
Zuschauer: 12.000
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