: Gelungene Gesten
Wer gut im Sport ist, wird leichter Deutscher, weil die Deutschen nicht mehr so leicht gut im Sport sind
Von Christian Semler
Erstveröffentlichung in: Wochenpost Nr. 47/ 14.11.1996
Zitate
Ich verehre Nelson Mandela, aber trotzdem möchte ich Deutscher werden.“
Sean Dundee
“Wenn Sean ein Ringer aus Schifferstadt wäre, wurde sich kein Mensch darüber aufregen.“
Winfried Schäfer, Trainer des Karlsruher SC, zur Debatte über den Einbürgerungsantrag Dundees
“Ich bin optimistisch, daß es noch vor dem Spiel gegen Portugal klappt.“
Hermann Latz, Justitiar des Deutschen Sportbundes
Sean Dundee, 23, gebürtiger Südafrikaner aus Durban, herausragendes Stürmer-As beim Bundesliga-Klub Karlsruher SC und Liebling der Fans beiderlei Geschlechts, fehlt zu seinem Glück nur noch eine Kleinigkeit – er möchte Deutscher werden. Diesen Wunsch teilt er mit Fußball-Bundestrainer Berti Vogts, der den Goal-Getter in die Nationalmannschaft holen will – und das sobald als möglich. Denn der Ball ist rund und die Qualifikationsrunde zur nächsten Weltmeisterschaft kein Zuckerschlecken. Aber leider, leider gibt es da noch Ansprüche des Fußball-Entwicklungslandes Südafrika, dessen Sportminister Steve Tshwete bereits an Dundees Nationalstolz appelliert hat.
Dundee verehrt Nelson Mandela, aber er liebt Deutschland. Sein Dilemma spitzte sich zu, als im Dezember letzten Jahres die Mannschaft der Bundesrepublik zwecks Freundschaftsspiel an das Kap der Guten Hoffnung reiste. Dundee griff zum bewährten Mittel aller Kampfunwilligen im Kriege: zur Krankheitssimulation. Er täuschte eine Zerrung in der linken Wade vor. Eine gelungene Geste in Richtung der alten wie der erhofften neuen Heimat. Denn durch sie vermied er es, die Kicker von Bafana-Bafana, wie die südafrikanische Nationalmannschaft heißt, offen zu düpieren. Gleichzeitig bedeutete er den deutschen Behörden, sich mit seinem Einbürgerungsantrag etwas zu sputen. Allzu häufig nämlich sollte man sich nicht termingerecht verletzen, das schadet der Glaubwürdigkeit.
Das Land Baden-Württemberg verstand Seans Geste, arbeitete mit Hochdruck an der Erfüllung (nicht nur seines Wunsches), konnte allerdings den Vorgang zum Termin des Länderspiels am 9. November 1996 gegen Nordirland nicht rechtzeitig abschließen. Eigentlich unverständlich, denn Dundee erfüllt ganz offensichtlich die Kriterien für eine vorzeitige Einbürgerung, die in den Richtlinien des Bundes resp. der Länder festgelegt sind.
Öffentliches Interesse? Kein Problem für einen künftigen Nationalspieler und damit Träger deutscher Identitätssehnsüchte. Dauernde Hinwendung zu Deutschland? Dundee hatte bereits als Straßenkicker die Bilder deutscher Fußballidole an die Wand seines Kinderzimmers gepinnt. Unbescholtenheit? Der Junge ist einfach nicht dazu zu bewegen, Fouls zu begehen, und zwar weder notwendige noch nicht-notwendige. Das gleiche gilt für sein Betragen außerhalb des Spielfeldes. Von festem Wohnsitz und finanzieller Sicherheit nicht zu reden: Dundees Arbeitsvertrag gilt bis 2003. Und wenn er vorher aussteigt, liegt die Transfersumme schon jetzt bei geschätzten 15 Millionen Mark.
Überdies spricht Dundee mittlerweile nicht nur Deutsch, sondern gar das badische Idiom. Er kennt die Befugnisse nicht nur seines Vereins, sondern auch des Bundespräsidenten, genügt damit den staatsbürgerlichen Voraussetzungen. Und schließlich: Vier Jahre Aufenthalt in der Bundesrepublik reichen aus. Die Qualifikationsspiele zur Weltmeisterschaft begründen das öffentliche Interesse “als so dringlich, daß eine alsbaldige Einbürgerung geboten erscheint“, wie es in den Bundesrichtlinien zur Einbürgerung unter Artikel 3,2,3,1 so treffend heißt.
Wären da nicht die oppositionellen Quertreiber, zum Beispiel der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir, der, Apfel und Birnen durcheinanderwerfend, Sean Dundees subtile Geste vom Dezember letzten Jahres überhaupt nicht hat auf sich wirken lassen. Der Nörgler Özdemir bestand auf Gleichbehandlung und ging dieser Tage so weit, zu fordern: “Es darf für Sportler keine Sonderregelungen geben.“ Da könnte man ja gleich generell die geforderte Mindest-Aufenthaltsdauer von zehn Jahren senken, den Umkreis derer, die ein Recht auf Einbürgerung geltend machen können, uferlos erweitern und, horribile dictu, sogar das “ius sanguinis“ – das auf blutsmäßiger Abstammung pochende Recht – angreifen, worauf unser Deutschsein gründet.
Dabei befleißigt sich der Deutsche Sportbund (DSB), dem der Deutsche Fußballbund (DFB) korporativ angehört, in seiner Antragspraxis bereits einer bemerkenswerten Zurückhaltung. Wurden früher, zumal in vorolympischen Zeiten, hemmungslos Einbürgerungsanträge von ausländischen Medaillen-Hoffnungsträgern gestellt, so will sich der DSB jetzt mit zehn Einbürgerungen pro Jahr bescheiden. Zum Sinneswandel des Sportbundes trug bei, daß etliche undankbare Neudeutsche, Ringer zumeist, der Bundesrepublik nach wenigen Jahren wieder den Rücken gekehrt hatten. Der DSB verstieg sich jetzt sogar dazu, von den Fußballfunktionären den Nachweis zu fordern, daß Dundee wirklich besser sei als vergleichbare deutschblutige Kicker. Das war dem DFB zuviel. Er beschränkte sich einigermaßen verschnupft auf die Zusicherung, Sean werde in der Nationalmannschaft “Fuß fassen“.
Eine Einschätzung, die dem Innenminister genügen wird. Ein Jahr nach seiner spektakulären Verletzungsgeste kann Dundee dem 14. Dezember, dem Tag des Länderspiels gegen Portugal, mit freudiger Erwartung entgegensehen. Über geschossene Tore, traurigerenfalls nichtgeschossene Tore, wird dann sowieso erst später geredet, wenn der Paß langst in Sicherheit ist.
Das Loyalitätsdilemma Seans, den sie in Karlsruhe “crocodile“ nennen, ist damit freilich nicht behoben. Daher folgender unverbindlicher Ratschlag: doppelte Staatsbürgerschaft wie bei den Bundesliga-Kollegen Bobic und Gaudino, je drei Jahre Geld scheffeln in der Bundesrepublik und ein Jahr Entwicklungshilfe für den notleidenden Fußball am Kap.
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