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Bundesliga aktuellTodtraurige Vögel

■ Spielertypen der 90er Jahre (Folge 3): Der Funfußballer ist gar nicht witzig

„Wir werden nicht als Spaßvögel geboren, wir werden dazu gemacht.“ Keine Wohngemeinschaft in den 70er Jahren, die nicht das Buch mit diesem Titel im Regal hatte. (Oder hieß es „Frauen“ statt „Spaßvögel“? Oder „Verbrecher“? Oder „Hanswürste“?) Der auf den psychologischen Konstruktivismus verweisende Titel jedenfalls beschreibt exakt das Phänomen des Fußballspaßvogels.

Das Funfußballerteam:

Prototyp: Anton Polster

Trainer: Dragoslav Stepanovic

Tor: Oliver Reck

Abwehr: Thomas Berthold, Torsten Fröhling, Matthias Scherz (beide St. Pauli)

Mittelfeld und Angriff: Andreas Herzog, Ralf Kohl, Mehmet Scholl, Sean Dundee, Martin Driller, Anton Polster, Youri Mulder (Manni Bender)

Der Spaßvogel des heutigen Fußballzirkus, neudeutsch Funfußballer genannt, ist eine Erfindung der Sportreporter. Wontorra und Kerner legen ihm mäßige Späße in den Mund, damit sie berichten können, wie lustig es hinter den Kabinentüren zugeht. Wenn es beim Fußball nämlich lustig ist, schauen auch viele Leute zu. Gute Späße fallen den Reportern aber nicht ein, und wenn doch, haben sie Angst, der Zuschauer verstünde sie nicht. So genügt Wiener Slang oder ein holländischer Akzent, und der Spaßvogel ist fertig. Ein jeder, der bei einem Blondinenwitz die Pointe schafft, wird zur Stimmungskanone erklärt.

In der von Sportreportern als „schrecklich“ bezeichneten „fußballfreien“ Zeit beklagen selbsternannte Theoretiker des Fußballs das Aussterben der „bunten Vögel“, die sie Originale nennen. „Bunte Vögel“ waren die Spaßvögel früherer Zeiten, als in der „Sportschau“ drei Spiele gezeigt wurden und Scherze von Fußballern oder über Fußballer eigentlich verboten waren. Mit dem Wort „Originale“ wollen die Theoretiker sagen, daß heutzutage nur noch Fälschungen auf den Fußballplätzen herumlaufen, früher dagegen alles viel lustiger, origineller und originaler war.

Sie verweisen gern auf eine „Ente“ aus den Niederlanden mit Namen Willi Lippens. Diese „Ente“ erfreute die Zuschauer durch watschelnden Gang und doofe Sprüche. Die klangen allerdings auch nur lustig, weil man vor dem Fernseher das Gefühl hatte, die „Ente“ werde von Rudi Carrell synchronisiert. Ein zweiter unvergessener „bunter Vogel“ ist Sepp Maier, der einmal den watschelnden Gang der „Ente“ imitierte und damit die Lacher flugs auf seiner Seite hatte.

Sind diese Anekdoten erzählt, erklären die Fußballtheoretiker, warum die „bunten Vögel“ ausgestorben sind. Sie stellen fest, daß die Spieler heutzutage Rhetorikkurse belegen müssen, um ihren Verein, Verband oder Vermarkter nicht zu blamieren. Albern- und Frechheiten würden allzu schnell von Vereinsführungen bestraft, so daß man nur noch ab und zu unfreiwillige Kalauer höre, zum Beispiel, daß Dinge „hochsterilisiert“ würden et cetera.

Sie haben recht, die Theoretiker des Fußballs. Unrecht haben sie aber, wenn sie die guten alten Zeiten besingen. In Wirklichkeit wirkten die alten Vögel nur deshalb lustig, weil lustig sein verboten war. Aber wenigstens neckten sie sich nicht gegenseitig vor laufenden Kameras, wie die Funfußballer dies tun, wenn sie sagen, sie müßten beim Trainingslager im Hotelzimmer mit dem Hinterteil zur Wand schlafen, weil ihrem Stubenkameraden die Gespielin fehle und so weiter.

Die Quittung für ihren Unfug kriegen sie auf dem Platz oder von ihren Ehefrauen, die ihnen davonlaufen. Joachim Frisch

Nächste Folge: Der selbstlose Mannschaftsspieler

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