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„Wir können nichts machen“

■ Flüchtlingsfamilie wird Sozialhilfe verweigert Von Markus Götte

Seit vierzehn Tagen ist die afghanische Familie Alim ohne Heizung. Die Hamburger Gaswerke haben die Lieferung wegen Zahlungsverzugs eingestellt. Der Vermieter drohte am Dienstag mit einer Räumungsklage, denn seit fünf Monaten können sie die Miete nicht mehr zahlen. Auf dem Tisch liegt noch eine unbezahlte Krankenhausrechnung über 4 000 Mark.

Schuld sei das Hamburger Sozialamt, sagt Vater Mohammad Alim. Die Ortsdienststelle St. Pauli verweigert den Alims seit August vorigen Jahres die Sozialhilfe. Angefangen hat die Misere für das Ehepaar Alim und seine fünf Kinder zwischen elf und fünf Jahren vor acht Monaten. Damals waren sie von Landau (Rheinland-Pfalz) nach Hamburg umgezogen, ins Karoviertel. Doch das Sozialamt Hamburg stellt sich quer. Abteilungsleiterin Ursula Keller: „Die Alims können in Hamburg keine Sozialhilfe bekommen.“

In einem amtlichen Brief heißt es: Für Ausländer mit Aufenthaltsbefugnis bestehe laut Sozialhilfegesetz nur in dem Bundesland Anspruch auf Sozialhilfe, in dem die Aufenthaltsbefugnis ausgestellt sei, in diesem Fall also in Rheinland-Pfalz. „Bevor sie mit Kind und Kegel nach Hamburg gekommen sind, hätten sie in Landau nachfragen müssen, ob das geht“, so Keller zur taz. Gesetz sei Gesetz, „da können wir nichts machen“.

„Völlig falsch“, meint der Anwalt von Familie Alim, Klaus Peter Löffler, gegenüber der taz. „Das Sozialamt Hamburg ist genau wie die hiesige Ausländerbehörde für die Familie verantwortlich.“ Diese habe den Wohnortwechsel anerkannt. „Hätte eine eingeschränkte Wohnsitzwahl bestanden, auf den das Sozialamt abhebt, hätte dies im Paß der Familie vermerkt sein müssen“, erklärt Löffler. Solch ein Eintrag existiert jedoch nicht. Statt dessen prangt seit Januar ein Hamburger Stempel auf der Aufenthaltsbefugnis der Flüchtlinge aus Afghanistan. Auch wurden die Akten nach Hamburg geschickt.

Damit ist für Löffler alles klar: „die Hanseaten haben die Aufenthaltsbefugnis nach Hamburg übertragen und sind damit nunmehr allein für die Familie Alim zuständig – auch das Sozialamt.“ Am Mittwoch hat der Anwalt eine einstweilige Anordnung beim Hamburger Verwaltungsgericht beantragt, um das Sozialamt zur Zahlung zu zwingen. Entschieden wird darüber jedoch erst in den nächsten Wochen.

Derweil helfen NachbarInnen der Familie mit Elektroheizern und Kochplatten aus. Der Spielclub für Schülerinnen im Karoviertel verköstigt die Kinder nachmittags kostenlos. „Ohne das wäre ein Leben gar nicht mehr möglich“, sagt Mohammad Alim. Seine Familie wäre gar nicht zum Sozialfall geworden, wenn das Arbeitsamt Hamburg Vater Mohammad nicht die Erlaubnis verweigert hätte, bei einer Autofirma als Wagenpfleger zu arbeiten. Im November 1994 beschied ihm das Arbeitsamt: „Bei der gegenwärtigen hohen Arbeitslosigkeit kann keine Arbeitserlaubnis erteilt werden, da damit die Beschäftigungsmöglichkeiten für deutsche und ihnen gleichgestellte ausländische Arbeitnehmer beeinträchtigt werden würden“.

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