■ Kolumne
: Markenartikler

Auf die Frage nach meinem Lieblingslabel pflegte ich früher immer Warner Brothers zu nennen. Seit Mitte der 60er hatte sich die Firma als Insel der Qualität ausgezeichnet, hatte Künstlern wie Van Dyke Parks, Randy Newman oder Ry Cooder auch in schlechten Zeiten die Chance gegeben, weiterzumachen, sich außerdem nie richtig die Finger schmutzig gemacht, sondern die erforderlichen Milliönchen mit Platten von Madonna oder Prince eingefahren. Jetzt kann man davon ausgehen, daß diese Zeiten für immer vorbei sind.

Im Zeichen einer spektakulären Umstrukturierung der Führungsetage tauschte der Time-Warner-Konzern die Spitzen der ihm unterstellten Label Warner, Elektra und Atlantic aus, und auf den Sesseln der altgedienten Haudegen Mo Ostin und Lenny Waronker sitzen jetzt anonyme Markenartikler. Markenartikler leben unter der Prämisse, daß sie alles mit denselben Techniken verkaufen können, ob es nun Avocados, Hebekräne oder Van-Dyke-Platten sind. Produkte, die sich diesen Techniken widersetzen, müssen fehlerhaft sein und verändert oder nicht mehr produziert werden.

Natürlich können sich solche Leute nicht, wenn's nötig ist, selber hinter's Mischpult setzen, wie es ein Lenny Waronker immer wieder mit Erfolg getan hat. Aber den Aktionären ist das natürlich egal, wie ihnen logischerweise auch egal ist, was auf den Platten drauf ist, solange die Dividende stimmt. „That's capitalism“, wie mir mal der Vertreter einer Firma grinsend ins Gesicht sagte, die den Laden, in dem ich seinerzeit tätig war, unfreundlich übernommen hatte.

Was bei Time Warner passiert ist, ist bei den restlichen großen Plattenfirmen schon vor Jahren, teilweise Jahrzehnten über die Bühne gegangen. In Deutschland war es sogar nie anders. Hier gab es niemals Kreative in den Schlüsselpositionen. Wozu auch? Auch ein Lenny Waronker könnte aus den Produkten von Marius Müller, Kunze oder Julie Neigel keine Musik machen. Aber hier sieht man natürlich auch deutlich, daß der Markenartikler der Feind der Kunst, der Kunstverhinderer ist. Und nicht nur das: Er hält seine Tätigkeit selber für Kunst, und die Zeit, da in den „Kultur“-Teilen sich dem Zeitgeist verpflichtet fühlender Illustrierter Marketing rezensiert wird, wie es jetzt schon mit Werbekampagnen der Fall ist, dürfte nur noch wenige Monate in der Zukunft liegen. Unter diesem Aspekt ist es für jenen kleinen Teil der Tonträgerindustrie, dem es um Kunst geht, lebenswichtig, neue Strategien im Umgang mit den großen Tonträgerkonzernen zu entwickeln.