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Boykott deutscher „Sklavenschiffe“

■ Zweitregister-Gesetz: ÖTV ruft internationale Gewerkschaften zu Hilfe

Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste Tranport und Verkehr (ÖTV) und die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) sagen den deutschen Zweitregisterschiffen den Kampf an. Ab 1. April werden weltweit die rund 500 im Zweiten Deutschen Schiffsregister eingetragenen Pötte für Billigflaggen-Schiffe erklärt und boykottiert, wenn an Bord keine ITF-Bedingungen herrschen und somit keine „Blue Card“ der ITF vorgezeigt werden kann.

Das Zweite Schiffsregister war 1989 von der Bundesregierung gegen heftige Proteste verabschiedet worden. Es ermöglicht den Reedern, ausländische Seeleute zu Heimatlöhnen zu beschäftigen. Nach ÖTV-Untersuchungen sind auf solchen Schiffen die Arbeitsbedingungen mittlerweile miserabler als auf manchen „Billigflaggenschiffen“.

Nach Angaben des Leiters der ÖTV-Abteilung Schiffahrt, Dieter Benze, gebe es zum Teil für die 4500 Seeleute „unhaltbare Zustände und sklavenähnliche Bedingungen“. Beispiel: Die Lübeck-Hamburger Reederei Beutler beschäftigte Inder für eine Monatsheuer von 250 Dollar mit der Verpflichtung, so Benze, „alles zu essen, was auf den Tisch kommt.“ Also als Moslem auch Schweinefleisch. Bei der Bezahlung herrscht laut Benze der reinste Wildwuchs: „Jeder Reeder kann als Heuer festsetzen, was er meint, zahlen zu müssen.“

Bei dem Versuch, das Zweitregister durch eine Klage vorm Bundesverfassungsgericht zu kippen, erlitten die Gegner am 10. Januar 1995 Schiffbruch. Das Gericht erklärte das Gesetz im Interesse der deutschen Flotte im wesentlichen für verfassungskonform, sofern die Tarifautonomie erhalten bleibe, die ÖTV also die Arbeitsbedingungen mitgestalten könne. Benze: „Dies ist uns nicht gelungen und konnte uns nicht gelingen.“ Denn viele deutsche Reeder hätten mit den Anwerbeländern (Beispiel: Antigua, Burma, Philippinen) Kollektiv-Verträge abgeschlossen, nach denen ein Seemann fristlos gekündigt wird, sofern er der ÖTV beitritt.

Die ÖTV bat die ITF um Hilfe. Der Zusammenschluß von 500 Hafenarbeiter- und Seeleutegewerkschaften in 100 Ländern legt den Mindeststandard in der internationalen Schiffahrt fest. Danach hat ein Matrose – egal welcher Nationalität - eine Mindestheuer von 1818 Dollar zu erhalten, ein Offizier 2600 Dollar. Benze: „Wir werden jetzt die Zweitregister-Schiffseigner auffordern, den ITF-Tarifvertrag abzuschließen.“ Wenn nichts passiert, sollen harte Bandagen angelegt werden. „Im Einzelfall wird boykottiert“, so Benze, „wir haben viele Zusagen internationaler Gewerkschaften. Jeder Reeder weiß, wenn er die Blue Card nicht besitzt, kann es in Häfen Ärger geben.“

Der Schwerpunkt solcher Aktionen wird mangels Kampfkraft kaum in deutschen Häfen liegen: „Es ist manchmal einfacher und schneller, ein deutsches Schiff in einem ausländischen als in einem deutschen Hafen zu boykottieren“, so Benze.

Für die ÖTV ist der Verzicht auf die Durchsetzung deutscher Tarifbedingungen, nach denen ein Matrose mindestens 4500 Mark verdient, eine bittere Pille. Benze begründet den eingeschlagenen Weg: „Wir mußten diesen Kompromiß eingehen als stabilisierendes Moment, um wieder Ordnung ins Tarifsystem zu bringen.“ Aber: „Die Zukunft der deutschen Seeschifffahrt kann dadurch nicht gesichert werden.“ Kai von Appen

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