: Sich selbst stets neu denken
■ Schauspielhaus: Der Maler und Schriftsteller Breyten Breytenbach betrachtete die Grausamkeiten dieses Jahrhunderts nicht nur in Südafrika
Angesichts dieses Jahrhunderts, in dem Ideologen und gedankenlose Nachschwätzer die größten Katastrophen aller Zeiten angerichtet haben, ist es eine Wohltat, auf Menschen zu treffen, die sich das eigenständige Denken nicht abgewöhnen lassen. Wenn so ein Mensch dann auch noch souverän genug ist, sorgsam mit der Sprache umzugehen, weil er eitle Affektiertheit nicht nötig hat, dann ist das wie eine Insel der Vernunft in einer verrückten Welt. Einer dieser Menschen ist der südafrikanische Schriftsteller und Maler Breyten Breytenbach.
Unter dem Terror-Regime der Apartheid hat Breytenbach sieben Jahre als Terrorist im Gefängnis gesessen. Seit seiner Haftentlassung 1982 viele Jahre nicht mehr in seinem Geburtsland gewesen, hält er sich seit dem Machtwechsel wieder öfter in Südafrika auf, auch wenn er nicht ganz dorthin zurückkehren mag. „Ich bin zur Zeit ein Nomade“, definiert der Schriftsteller sein Leben zwischen Durban, wo er an der Universität lehrt, der senegalesischen Insel Gore – dort befindet sich ein 1989 von Breytenbach gegründetes Institut, das die Demokratiesierungsprozesse in Afrika fördern will – und Paris, seiner Exilheimat.
Am Sonntag sprach er in der Matineereihe des Instituts für Sozialforschung in Hamburg über Destruktion und Gewalt in unserem Jahrhundert. Lag es an der noch ungewohnten Sommerzeit, daß nur rund 100 Zuhörer den Weg ins Schauspielhaus gefunden hatten? Oder ist Südafrika kein Thema mehr? Schließlich hat das Land jetzt den schwarzen Präsidenten, nach dem die Bevölkerungsmehrheit seit Jahrzehnten verlangt hat. Doch ist damit wirklich endlich alles in Ordnung? Die Wirklichkeit ist wie immer komplexer und viel brutaler. Chaos und Gewalt bedrohen den mühsam gefundenen Kompromiß in dem multiethnischen Staat an der Südspitze Afrikas.
Breytenbach verglich in seiner Rede Spiegel in Flammen: Was haben wir der Zukunft zu zeigen? die kulturelle Entwicklung in Europa mit der afrikanischen. Die Verläßlichkeit der ausgehandelten Demokratie in Südafrika beurteilt er skeptisch. Zuviele Probleme sind ungelöst: Die Verteilung des Besitzes laufe ohne Regeln, alte und neue Machthaber mißbrauchten ihre Position, Korruption und Kriminalität machten sich im neuen Südafrika breit. Außerdem stelle die Desillusionierung der Leute, die geglaubt haben, durch die Wahlen werde alles besser, ein gewaltiges destruktives Potential dar.
Die Europäer mit ihrem aufgeklärten Fortschrittsglauben kamen in Breytenbachs Analyse des ausgehenden Jahrhunderts auch nicht besser weg. Faschismus und Kommunismus seien Zwillinge gewesen. Einer konnte ohne den anderen nicht existieren. Die Grausamkeiten dieser Ideologien sind für Breytenbach nicht einfach perverse Auswüchse. Auschwitz war der Beginn einer neuen Ära, die die Türen zu den Gaskammern der menschlichen Existenz geöffnet hat. Türen, die die Menschheit nie wieder schließen kann. Dieses Jahrhundert ist eine Epoche beispielloser Grausamkeit, nie zuvor wurden soviele Menschen vertrieben, ganze Ethnien ausgerottet. Ein Jahrhundert der dummen Arroganz und das Ende der Unschuld. Trotz allem bleibe den Menschen die Aufgabe, sich selbst neu zu denken, weiter zu leben, zu träumen und zu schreiben. Iris Schneider
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