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Die Serben sind bereits aus Jajce geflohen

■ Mit der Rückeroberung der zentralbosnischen Stadt durch kroatisch-bosnische Truppen gerät Banja Luka unter Druck

Split (taz) – Die zentralbosnische Stadt Jajce ist am Mittwoch von Truppen der bosnischen Kroaten (HVO) zurückerobert worden. Dies bestätigte der UN-Sondergesandte Yasushi Akashi gestern unter Berufung auf Aufklärungsflüge der Nato. Damit haben die Streitkräfte des serbischen Oberkommandierenden Ratko Mladić einen der wichtigsten strategischen Punkte Zentralbosniens verloren. Mit der Eroberung Jajces wird die nordbosnische Serben-Stadt Banja Luka selbst militärisch unter Druck gesetzt.

Die Offensive der HVO löste eine Fluchtbewegung unter der serbischen Bevölkerung in der Region aus. Zehntausende sollen versuchen, sich in Richtung Banja Luka durchzuschlagen. In Jajce selbst ist die serbische Restbevölkerung der vor dem Krieg 44.000 Einwohner zählenden Stadt – 39 Prozent Muslime, 35 Prozent Katholiken und 19 Prozent Orthodoxe – nach UNO-Quellen aus der Stadt geflohen. Nach Berichten von Besuchern sollen in den letzten Monaten noch 4.000 bis 5.000 Menschen in der Königsstadt des Mittelalters gewohnt haben.

Jajce hat nicht nur wegen der Verteidigung Banja Lukas eine entscheidende Bedeutung für die serbische Seite, führt doch das Tal des Vrbas-Flusses von Jajce direkt nach Banja Luka – eine Verteidigungslinie ist hier nur schwer aufzubauen. In Jajce befindet sich auch eines der größten Kraftwerke der bosnischen Serben. Somit ist nun die Elektrizitätsversorgung von Banja Luka empfindlich gestört.

Angesichts des nahenden Winters steht jetzt die serbisch-orthodoxe Restbevölkerung der Region – Muslime und Katholiken wurden bis in diese Tage hinein systematisch „herausgesäubert“ – vor großen Problemen. Ihnen droht ein ähnliches Schicksal wie der Bevölkerung Sarajevos, die über drei Jahre lang von ausreichender Stromversorgung abgeschnitten war.

Die Rückeroberung Jajces hat deshalb auch einen psychologischen Effekt. Der serbischen Bevölkerung wird nun – noch mehr als durch die Nato-Angriffe – konkret vor Augen geführt, daß die serbische Seite den Krieg zu verlieren beginnt. Dies könnte Kräften in der orthodox-serbischen Bevölkerung Banja Lukas Auftrieb geben, die sich seit Beginn des Krieges gegen die extremistische Führung unter Radovan Karadžić und Ratko Mladić gewehrt haben.

Jajce war im Oktober 1992 von der serbisch-jugoslawischen Armee verstärkt angegriffen worden. Über Monate hinweg hatten die Milizen der katholischen und muslimischen Bevölkerung die Stadt halten können. In Jajce wurden jedoch zum ersten Mal Unstimmigkeiten zwischen Kroaten und Muslimen sichtbar, was zu einer Schwächung der Verteidigungskraft führte. Nach Kämpfen zwischen bosnischen Regierungstruppen und Verbänden der kroatisch-bosnischen HVO in der zentralbosnischen Stadt Prozor, über die der Nachschub nach Jajce gebracht wurde, brach die Verteidigung zusammen. Die kroatischen HVO- Truppen bekamen den Befehl zum Rückzug, die nichtserbische Bevölkerung floh über die Kämme des Vlasic-Gebirges nach Travnik.

Drei Jahre später hat sich das Blatt gründlich gewendet. Die Rückeroberung Jajces wird aber auch zum Testfall für die kroatisch- muslimische Zusammenarbeit. Würde die Stadt in Zukunft lediglich durch kroatisch-bosnische Behörden beherrscht, wüchse das Mißtrauen zwischen den beiden Alliierten wieder an. Käme es hier jedoch zu einem Interessenausgleich, so würde dies die Chancen für eine gemeinsame Rückeroberung Bosnien-Herzegowinas erheblich verbessern. Erich Rathfelder

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