Studie zur Langzeitarbeitslosigkeit: „Niederschmetterndes Fazit“
■ Von 220 Langzeitarbeitslosen fanden nur 22 eine Stelle
Was der Leiter des Bremer Arbeitsamtes, Christian Hawel, schon lange ahnte, hat er jetzt als Forschungsergebnis schriftlich bekommen: Je länger ein Mensch arbeitslos ist, desto schwieriger und desto teurer ist seine Rücckehr an einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt. „Heute muß deshalb verhindert werden, daß Menschen überhaupt arbeitslos werden“, mahnt Hawel.
Eine Lösung wäre, Betroffene nach der Kündigung von einem Arbeitsplatz weg gleich auf den nächsten zu qualifizieren, sagt er. Dies jedoch scheitert oft an Regeln und Gesetzen. Mit dem geplanten Arbeitsförderungsreformgesetz könnte sich dies noch verschärfen. Das aber wäre bei steigender Sockelarbeitslosigkeit, bei der Langzeitarbeitslose einen Anteil von 30 Prozent stellen, fatal: „Für den Vulkan-Arbeiter zum Beispiel würde sich kaum noch was abspielen, wenn wir auf Sickereffekte hoffen und Zeit verstreichen lassen.“ Noch gefährdeter seien MitarbeiterInnen maroder Klein- und Mittelbetriebe, die kaum Lobby haben.
Wer heute an der Arbeitsförderung sparen wolle, der müsse bedenken: „Morgen kann es ihn auch treffen“, warnt Hawel. WissenschaftlerInnen stützen seine Sicht. „Ob Ausbildung oder nicht, ob Manager oder Arbeiter, heute kann jeder in Langzeitarbeitslosigkeit abgleiten“, sagt Thomas Kieselbach. Der Psychologieprofessor leitet eine dreijährige Forschungszusammenarbeit der Universität Bremen mit der Bildungswerkstatt Bremen. Daraus entstand ein Zahlenwerk über die Vermittelbarkeit von langzeitarbeitslosen Männern.
Das Ergebnis ist niederschmetternd: Von 220 Langzeitarbeitslosen fanden nach dreijähriger Beratung und Qualifizierung im technischen Bereich nur 22 Männer eine dauerhafte Stelle im ersten Arbeitsmarkt. Über die Hälfte (66 Prozent) aller Projektteilnehmer dagegen brach den Einstiegsversuch in ein reguläres Arbeitsleben wieder ab. Das überrascht weder Hawel noch die ForscherInnen. „Je länger Arbeitslosigkeit dauert, umso demoralisierter sind die Betroffenen meist.“ Aus welchen seelischen Tiefen man Langzeitsarbeitslose oft heraufholen muß, damit sie Chancen auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nutzen können, ist kaum erforscht. „Zumeist werden Probleme von Langzeitarbeitslosen nur von Bildungsträgern benannt“, kritisiert Thomas Kieselbach. Dann gehe es vorrangig um Probleme, die die berufliche Integration verhindern. Anders die jüngste Bremer Studie. Mehrstündige Interviews mit den Langzeitarbeitslosen belegen den Bedarf an Hilfsangeboten – und ebenso die Fragwürdigkeit von Statistiken: Für Betroffene, die sieben Jahre lang keinen festen Arbeitsplatz hatten, mache ein Jahr ABM kaum einen Unterschied – obwohl sie danach aus der Statistik als Dauerarbeitslose ,herausfallen. „Wenn man diese kurzzeitigen Unterbrechungen im Leben vieler Arbeitsloser vernachlässigt, dann sind knapp zwei Prozent der Bevölkerung länger als zehn Jahre arbeitslos“, macht Thomas Kieselbach eine erschreckende Rechnung auf. Die Folgen davon sind verstärkte Gesundheitsprobleme, soziale Isolation – und staatliche Dauer alimentation durch Arbeitslosen- oder Sozialhilfe. Ihr Fazit: „Arbeitslosigkeit muß schnell beendet werden. Und: Bei der Vermittlung von Arbeitslosen muß man viele Wege gehen.“ Als beachtenswert gilt den ForscherInnen dabei auch der Weg der holländischen Maatwerker (s. obbenstehender Bericht). ede
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