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Heimliche Hanfernte in der Mark

Drei Berliner Kiffer sind auf Selbstversorgung umgestiegen: Sie haben in Brandenburg ein Marihuanafeld angelegt. Von den Tücken der Pflanzenpflege und bedrohlichen Förstern berichtet  ■ Toto Weißenfels

Verschwitzt, von oben bis unten mit nasser Erde beschmiert, mit Brennesselflatschen an den Waden und Mückenstichen am Arsch lagen wir auf dem Rasen. Fix und fertig. Ein halber Tag harten Kampfes gegen den feuchten Boden lag hinter uns. Ein paar Stunden ehrlicher Arbeit mit Spaten und Spitzhacke hatten ausgereicht, uns drei Stadtjungs einfach auszuknocken. Kalle, Pille und ich waren ausgebrannt, doch wir fühlten uns gut. Wir waren die Vorreiter, und viele würden unserem heroischen Vorbild folgen: Zurück zur Selbstversorgung, Dealer, ade!

Am Morgen waren wir kurz nach der Dämmerung aufgebrochen, um Brandenburgs Wälder zu erkunden. Wir hatten uns mit olivgrüner Tarnkleidung, ganz im Lokalkolorit, in Schale geworfen und waren in Gedanken noch bei Kalles mahnenden Worten, der uns als erfahrener Züchter über alle Vorsichtsmaßnahmen (Guerilla-Taktik frei nach Che) und Gefahren aufgeklärt hatte: „Der Hauptfeind Nr. 1 ist der gemeine Kiffer, dann kommt das Wild, aber auch Förster, Jäger und einfache Waldarbeiter sind nicht zu unterschätzen, obwohl letztere wie die Bauern meistens zu blöde sind.“

Kilometerweit marschierten wir durch den tiefsten Wald – vorsichtig darauf achtend, in die Fußstapfen des Vordermanns zu treten und in Schlangenlinien zu laufen, um ja keine auffällige Spur zu hinterlassen – und fanden schließlich genau die richtige Lichtung: einsam und verlassen, kein Fußweg, Wildpfad oder Hochsitz waren in der Nähe auszumachen und der Boden ausreichend feucht.

Hier, fernab von Autolärm und neugierigen Blicken, gruben Kalle, Pille und ich Dutzende Löcher in den widerspenstigen Boden und setzten darin unsere noch sehr zierlichen Marihuana-Setzlinge ein, die wir im März zu Hause unter Kunstlicht hochgezogen hatten. Dazu in jedes Loch zwei Löffel Guano-Dünger, widerlich stinkende Pinguinscheiße, und ein Löffel Kalk, denn Cannabis braucht ph-neutralen Boden – und ab geht die Post. Dachten wir jedenfalls. Wir hatten uns generalstabsmäßig mit deutscher Gründlichkeit vorbereitet, doch dieses miese Wetter hatten wir nicht erwartet. Schweinesystem! Am Siebenschläfer regnete es zwar nicht, aber es war bewölkt, und wir sahen erst mal wochenlang keine Sonne.

Als wir einige Tage später zu unserer Schonung zurückkamen, bot sich ein schrecklicher Anblick: Unsere geliebten Pflänzchen sahen jämmerlich aus, dünn und schwächlich die kurzen Stengel, mickrig die fünfgliedrigen Blätter. Doch in den kommenden Wochen zeigte sich, daß das feuchte Sommerwetter für die Wachstumsphase optimal war – allmählich schossen uns die Pflanzen über den Kopf hinaus, und wir mußten sie beschneiden, damit sie nicht schon aus der Ferne zu sehen waren.

Zu Hause lasen wir jeden Tag mit Spannung den Wetterbericht und hofften ansonsten auf Mutter Natur (plus eine Prise Chemodünger). Jede Woche kümmerten wir uns um die Pflanzenpflege, sammelten die Schnecken einzeln von den Blättern und verteilten Katzenkot um die Pflanzen, um mit dem ätzenden Geruch wildernde Tiere abzuhalten. Gefahren lauerten überall: Einmal trafen wir den ansässigen Förster, als wir vollbepackt im Anmarsch waren, und Pille konnte ihm gerade noch geistesgegenwärtig verklickern, wir seien Biologiestudenten, die Bodenproben nähmen. Danach kamen wir nur noch zur Pflege, wenn wir sicher waren, daß der deutsche Förster seinen Jagdeifer vor dem Bildschirm ausließ – immer dann, wenn Fußball im Fernsehen lief.

Auf die Idee, unser Gras selber zu züchten, waren wir eigentlich gekommen, als auch wir der krakenhaft um sich greifenden Rezession nicht mehr entkommen konnten. Wenn wir schon Philip Morris jeden Monat mindestens 150 Mark in den Rachen schieben, dann müssen wir nicht auch noch die Mätzchen des Königs von Marokko finanzieren und die holländischen Skunk-Pfeffersäcke noch fetter machen, dachten wir uns. Außerdem sind Kleindealer nicht nur unverschämt teuer, sondern auch immer so wahnsinnig kompliziert. Falls sie nicht schon längst ihr Gewerbe gewechselt haben (wegen der Kinder), muß man sich ewig darüber unterhalten, wie toll ihr Dope und ihre Preise sind. Oder man möchte seinen wohlverdienten Feierabendjoint rauchen, und findet an ihrer Tür einen kleinen Zettel: „Hallo Freunde, wir schlafen schon, bis morgen“ (Freitag abend um 21 Uhr!).

„Oh, Herr, gib uns Licht, nichts als Licht“, beteten wir. Denn in der Blütephase benötigen die Pflanzen noch mal richtig Sonne, erst dann werden die Spitzen der Pflanzen fett und törnen. Wir sehnten uns einen Altweibersommer herbei, und alles würde gut werden. Bloß keinen Frost – dann könnte sich von einem Tag auf den nächsten gräßlicher Schimmel virusartig über die Pflanzen ausbreiten, und alle Müh' wäre umsonst gewesen. Als im September und Oktober beständig die Sonne schien, jubilierten wir. Die Blüten unserer Pflanzen wurden immer dicker und klebriger, und die Ernte war unerwartet ergiebig. Wir waren selig, weil wir nun schwerelos durch den Winter fliegen würden.

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