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Plötzlich ist der Winter da

Reichlich abgeklärt nehmen jung, alt, Hitzfeld und selbst Schäfer ein kühles 1:1 zwischen der Borussia und dem Karlsruher SC zur Kenntnis  ■ Aus Dortmund Katrin Weber-Klüver

Und plötzlich ist der Winter da. So daß man meint, es frören einem die Nieren ein und die Muskeln bekämen Verspannungen vom Zittern. Zumindest, wenn man im Fußballstadion noch nicht sämtliche Accessoires der Wintergarderobe dabei hat. Auch die Fußballspieler treten noch ohne Handschuhe und Strumpfhosen an. Aber mit Ambitionen. Andreas Möller liebäugelt für sich und Borussia Dortmund damit, behaglich auf dem Tabellenplatz „ganz oben“ zu überwintern.

Also strengte er sich an gegen den Karlsruher SC. Jedenfalls am Anfang. Alle strengten sich an, im Vergleich zu den letzten Aufeinandertreffen sehr kultiviert. Wo jüngst noch lärmiger Zwist und gemeine Schwalben die Gemüter erhitzten, hielten sich nun Elfmeterschinder und Meckerfritzen, notorische Rotsünder und sogar die beiden Trainer zurück, die Stimmung aufzuheizen.

Einmal abgesehen von Winfried Schäfers Blackout. Hochroten Kopfes und peinlich erfolgreich drängte er einen Kameramann, den meckernden Dortmunder Co- Trainer aufzunehmen. Geschenkt. Ebenso wie die Theatralik, mit der René Tretschok eine sachte Berührung in eine Tätlichkeit umzuwidmen suchte. Denn andererseits versagte sich Sergej Kirjakow einen bereits angesetzten Schwalbenflug tapfer. Möller kam gar nicht erst in solche Verlegenheiten. Nachdem sein Auftaktengagement kein Tor vorbereitet hatte, ging er in die Spitze und dort in die innere Emigration.

Dabei war der Meister in Aufbau und Dynamik zunächst überzeugend. Und deshalb hippelte auch Borussias C- und D-Jugendnachwuchs fröhlich aufgeregt auf seinen kalten Schalensitzen. Während sie Cola schlürften und Würstchen mampften, begutachteten die Jungen Karl-Heinz Riedle bei seinem Debüt nach langer Verletzungspause kritisch („Ein Einzelkämpfer wie du! Der gibt nicht ab.“).

Daß Riedle und Lars Ricken abwechselnd vier prächtige Chancen vergaben, wurde erst zum Ärgernis, als Sean Dundee die zweite Chance der Karlsruher verwandelte. „Wie kann der so freistehen?“ Der Tadel war ungerecht, denn Gegenspieler Jürgen Kohler stand genau da, wo Häßlers Ecke hinkam. Der Ball prallte von seiner Brust zur Vorlage ab. Der Erfolg erwärmte nicht jeden auf der Karlsruher Fantribüne ausreichend, weshalb einer ein Feuer entfachte, von dem schwerer schwarzer Rauch durchs ausverkaufte Stadion wehte. Die Abführung des Zündlers kommentierte die C-Jugend so, daß man endgültig annehmen mußte, sie lausche zuviel an Stammtischen. Was weder Gelassenheit noch Grammatik fördert. „Richtig so!“ – „So einer macht doch das Spiel kaputt!“ – „Das ist Beschädigung von fremden Eigentums.“

Kurz vor der Pause obsiegte bei den Borussen altersübergreifend gute Intuition. „Jetzt müßte der Reinhardt voll abziehen.“ Knut Reinhardt tat dem Nachwuchs den Gefallen per Freistoßtreffer. Abgefälscht vom Karlsruher Mauerrand Dirk Schuster. Wo sich vormals Westfalen und Badener ohne Rücksicht auf Sitte und Anstand bekämpften, waren sie jetzt sogar einig darin, die Treffer teamübergreifend cozuproduzieren und die Punkte zu teilen.

Weitere Tore fielen also nicht. Vergeblich hoffte Ottmar Hitzfeld, als er Matthias Sammer 20 Minuten vor Schluß einwechselte, daß der Genesene mit einem „Geistesblitz“ für drei Punkte und Kontakt zum Spitzenplatz sorgen würde. Die Gäste-Abwehr wurde immer stabiler in ihrer „Schlacht, das heißt, Abwehrschlacht“ (Schäfer), Dortmunder hatten den „Rhythmus verloren“ (Hitzfeld). Der BVB-Trainer war „natürlich enttäuscht“, das aber mit großer Gelassenheit.

Womöglich hatte das Auftaktdrittel ihn zu Optimismus für das Champions-League-Spiel am Mittwoch in Lodz und das Restprogramm zur Herbstmeisterschaft veranlaßt. Überzeugt war er, das Spiel habe den wiedergekehrten Stars geholfen, „an sich zu glauben“. Viele Zuschauer scherte Glaube so wenig wie Visionen von stabiler BVB-Zukunft mit lauter gesunden und durchgehend inspirierten Kickern. Stärker frierend, als auf das Siegtor spekulierend, verließen sie ab 17 Uhr in Scharen das Stadion. Die solche Abgeklärtheit der Erwachsenen eigentlich nur nachahmen, waren ihnen diesmal weit voraus. Als würden elfjährige Fahrradfahrer Gefahr laufen, im Verkehr stecken zu bleiben, hatten Teile des BVB-Nachwuchses sich längst hinter den heimischen Ofen begeben. Nicht mal der Winter fördert derzeit im Westfalenstadion aufgeregtes Mitfiebern.

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