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Zweiklassenmedizin

■ betr.: „Die Krankenkassen bitten zur Kasse“, taz vom 7.11. 96

Als Ergotherapeutin beobachte ich das Vorhaben, Sprachtherapie, Ergotherapie und Krankengymnastik künftig den Kassen als Kann- Leistung zu überlassen, mit Besorgnis. Abzusehen ist, daß Therapien zum Luxusgut werden, das sich nicht mehr jeder leisten kann. Der Staat würde Kosten nur kurzfristig sparen, sich langfristig aber höhere Ausgaben schaffen.

Ein Patient nach einem Schlaganfall muß zum Beispiel oft erst wieder lernen, sich anzukleiden. Da diese „einfache“ Tätigkeit zum schwierigen Problem wird, wenn eine Körperseite gelähmt und das Gleichgewicht gestört ist, benötigt er dazu mehrmaliges Üben in der Ergotherapie. Wer sich das nicht leisten könnte, müßte mindestens zweimal täglich Hilfe durch Pflegedienste in Anspruch nehmen.

Nach einer Hüftoperation muß manche alte Patientin das Gehen in mehrwöchiger Therapie erst wieder lernen. Kann sie sich die Krankengymnastin nicht mehr leisten, bleibt sie im Rollstuhl, muß sie ins Pflegeheim. Statt wieder selbständig in der eigenen Wohnung umherzulaufen.

Viele Kinder, die als „entwicklungsverzögert“ gelten, können mit frühzeitig begonnener Förderung durch Therapeuten das Versäumte nachholen, auf die Regelschule gehen und eine normale weitere Entwicklung nehmen. Ohne rechtzeitige Förderung bleiben sie oft ihr Leben lang auf Fremdhilfe oder Sonderbehandlung angewiesen.

Solch ein System der Zweiklassenmedizin will ich nicht mittragen. Gudrun Heil, Düsseldorf

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