: Mit Hormonen fit fürs Alter
Immer mehr Frauenärzte verschreiben in den Wechseljahren Hormonpräparate ■ Von Karin Bundschuh
Die Wechseljahre gelten als besonders schwierige Zeit im Leben der Frau. Blutungs- und Zyklusstörungen, Hitzewallungen, Schlafstörungen, häufiger Harndrang, eine trockene Scheide sowie depressive Verstimmungen, Reizbarkeit und Aggressivität gehören zu den typischen Beschwerden dieser Phase. Nun glauben immer mehr Frauenärzte in der Hormonbehandlung ein Allheilmittel gegen diese Leiden gefunden zu haben.
Ihren bisher letzten Höhepunkt erlebte die Kampagne für die Hormongabe vergangenen Monat auf dem 51. Kongreß der Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in Dresden, an dem immerhin 2.000 Frauenärzte und -ärztinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz teilnahmen. Wissenschaftler wie die Professoren Hermann Schneider (Münster), Thomas von Holst (Heidelberg) oder Rolf Kreienberg (Ulm) konnten die positive Wirkung der Antibabypille und des „natürlichen Hormonersatzes“ auf Frauen in den Wechseljahren kaum genug rühmen. Für von Holst steht außer Zweifel, daß „neun von zehn Frauen unter einer geeigneten Östrogen/Gestagen-Behandlung beschwerdefrei durch die Wechseljahre kommen“. Die Pharmaindustrie wird dieses Plädoyer begeistert zur Kenntnis genommen haben, setzte sie doch bereits im vergangenen Jahr allein in der Bundesrepublik Östrogen- und Östrogen-Gestagen-Präparate im Wert von mehr als 560 Millionen Mark um – und die werden zu weit mehr als 90 Prozent Frauen im Alter von über 40 Jahren verordnet.
Entscheidet sich die Frau in Abstimmung mit ihrem Arzt für eine Hormonbehandlung in Form der Pille, schützt sie sich zusätzlich zu allen anderen Wohltaten, die ihr diese Therapie bringen soll, vor einer Schwangerschaft. Ihr Zyklus bleibt regelmäßig, und es kommt weiterhin zur Entzugsblutung. Wählt sie dagegen den natürlichen Hormonersatz, fällt die empfängnisverhütende Wirkung weg, und die Menstruation tritt nur noch eine gewisse Zeit auf.
Die Streiter für eine Hormonbehandlung versprechen sich und ihren Patientinnen allerdings noch viel mehr von Östrogenen und Gestagenen als nur die Beseitigung der typischen Wechseljahresbeschwerden: Sie sollen die Frauen fit fürs Alter machen.
Östrogene sollen das Risiko mindern, an einer Osteoporose zu erkranken, jener Krankheit, bei der die Knochenmasse ab- und die Gefahr eines Knochenbruches zunimmt. Schluckt eine Frau zirka zehn Jahre lang Östrogene, dann hat sie das Risiko um die Hälfte reduziert, sich Hüfte, Unterarme oder Wirbel zu brechen, verheißt Hermann Schneider den Patientinnen. Die regelmäßige Einnahme von Östrogenen schützt zudem vor Eierstockkrebs und wahrscheinlich auch vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen – gesichert sind die Studienergebnisse hier noch nicht. Das Risiko, an Gebärmutterkrebs zu erkranken, kann nur die Kombination von Östrogenen und Gestagenen senken. Die Behandlung allein mit Östrogenen führt sogar zur Zunahme von Gebärmutterkrebserkrankungen.
Zum Leidwesen der Hormon- Päpste steigern Östrogene auch das Risiko, Brustkrebs zu entwickeln – und in diesem Fall hilft die Kombination mit Gestagenen nicht. Doch das Risiko nehme nur geringfügig zu, wie Rolf Kreienberg nicht müde wird zu betonen. „Geringfügig“ bedeutet nach Kreienbergs Worten, daß von 100.000 Frauen, die die Pille genommen haben, innerhalb von zehn Jahren, nachdem sie das Verhütungsmittel abgesetzt haben, je nach Alter zwischen 5 und 47 Patientinnen mehr an Brustkrebs erkranken als in einer Vergleichsgruppe. Beim natürlichen Hormonersatz sei ein geringfügiges Brustkrebsrisiko ebenfalls nicht auszuschließen. Eine klare Aussage lasse sich aber noch nicht machen. Trotz dieser unerwünschten Wirkung der Östrogene feiert Kreienberg „die Hormonsubstitution in der Menopause als einen Segen“. Die Vorteile seien so groß, daß man das Brustkrebsrisiko in Kauf nehmen könne und mit einer besseren Vorsorge versuchen müsse, „ein kleines Karzinom früh zu entdecken“.
Daß nicht alle Frauenärzte und -ärztinnen in die Lobeshymnen auf die Hormontherapie einstimmen, liegt weniger am erhöhten Brustkrebsrisiko. Ihnen mißfällt die Stilisierung dieser Behandlung zum Allheilmittel für jede Frau und alle klimakterischen Beschwerden. Nach Ansicht der Heidelberger Professorin Ingrid Gerhard muß der verantwortliche Arzt bei jeder einzelnen Patientin prüfen, ob eine Hormonbehandlung sinnvoll ist. In einem ausführlichen Gespräch mit der Frau sei zu klären, ob beispielsweise in ihrer Familie das Risiko, an Osteoporose zu erkranken, hoch ist – eine klare Indikation für Hormongaben. Doch nur bei jeder vierten Frau sei eine Osteoporose zu erwarten, hält Karl-Horst Junghanns, Gynäkologe aus Titisee- Neustadt, der Hormon-Hysterie entgegen. Und gerade die typischen Beschwerden der Wechseljahre ließen sich auch mit anderen Mitteln als Hormonen behandeln.
Gerhard und Junghanns informierten ihre Kollegen und Kolleginnen in Dresden über die Erfolge, die sich durch eine Umstellung der Ernährung und die Akupunktur erzielen lassen. So verschwinden beispielsweise Hitzewallungen, wenn die Frau aufs Rauchen verzichtet und ihren Kaffeekonsum reduziert. „Auch depressive Verstimmungen sind durch eine entsprechende Ernährung und durch sportliche Betätigung zu beseitigen“, berichtet Gerhard. Wobei allerdings im Einzelfall entschieden werden müsse, ob eine Psychotherapie notwendig sei. Wenn die nicht angezeigt sei, verspreche auch die Akupunktur gute Erfolge bei der Behandlung depressiver Verstimmungen, betont Junghanns. Genauso ließen sich die vegetativen Beschwerden wie Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Aggressivität oder Schlafstörungen günstig beeinflussen. Junghanns hat sogar die Erfahrung gemacht, daß die Akupunktur dann hilft, wenn die Gabe von Hormonen die vegetativen Störungen nicht völlig beseitigen kann.
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