: WIPianerInnen über den Tisch gezogen
Über 400 Ost-WissenschaftlerInnen droht nach langem Hickhack die Arbeitslosigkeit. Bund und Länder geben sich gegenseitig Schuld, die Akademieforscher im Regen stehen zu lassen ■ Von Wolfgang Löhr
Mit falschen Versprechungen hintergangen und um ihren Arbeitsplatz betrogen fühlen sich über 400 WissenschaftlerInnen aus der früheren DDR, die jetzt vor den Verfassungsgerichten in Berlin und Brandenburg ihren Anspruch auf Weiterbeschäftigung durchsetzen wollen. Sie gehören zu den rund 1.500 MitarbeiterInnen von Hochschulen und verschiedenen außeruniversitären Forschungseinrichtungen in den neuen Bundesländern, deren Arbeitsplätze durch das Wissenschaftler-Integrations-Programm (WIP) finanziert werden. Zum Jahresende läuft das von Bund und Ländern gemeinsam getragene WIP aus. Sollten die Verfassungsrichter die beiden Klagen der 253 Berliner und 155 Brandenburger WissenschaftlerInnen ablehnen, bleibt für die meisten WIPianerInnen dann nur noch der Gang zum Arbeitsamt.
In seiner Klageschrift beruft sich Frank Lansnicker, der als Anwalt die Berliner und Brandenburger WissenschaftlerInnen vertritt, auf das Hochschulerneuerungsprogramm (HEP) von 1991. Darin ist unmißverständlich von einer „Sicherung des Verbleibens“ und der „Eingliederung“ von Wissenschaftlern in die Hochschulen und Forschungsstätten die Rede. Rund 2.000 der einst über 24.000 an den Wissenschaftsakademien der DDR beschäftigten MitarbeiterInnen sind seinerzeit in das im HEP integrierte Integrationsprogramm aufgenommen worden. Als Gegenleistung für die 500 Millionen Mark, die die Bundesregierung für das WIP zur Verfügung stellte, hatten die Bundesländer sich verpflichtet, die Arbeitsplätze der WIPianerInnen auf Dauer zu sichern. Davon wollen die Landesregierungen jetzt nichts mehr wissen. „Eine derartige Zusage hat der Senat nie gegeben“, widerspricht Kerstin Schneider, Sprecherin von Wissenschaftssenator Peter Radunski (CDU). Sie hält deshalb die Klage auch für aussichtslos.
Klaus-Dieter Schulz ist einer der Kläger. Der Stadtplaner an der TU Berlin ist enttäuscht und sauer. Für ihn drücken sich beide, Bundes- und Landesregierung, um ihre Verantwortung. Zwar bestätigte das Bundeskanzleramt in einem Brief an einen Betroffenen vor wenigen Wochen noch einmal: „Das Engagement des Bundes war an die Zusage der Länder gebunden, für die WIP-Geförderten Beschäftigungspositionen zu schaffen, auf denen sie dauerhaft untergebracht werden.“ Doch unternommen, so Schulz, „haben sie nichts, damit diese Zusage auch eingehalten wird“.
Insgesamt gibt es in Berlin etwa 450 WIPianerInnen. Davon sind „380 Forscher und 70 nichtwissenschaftliche Mitarbeiter“, erklärt die Sprecherin der Wissenschaftsverwaltung, Schneider. Lediglich für „höchstens 60 bis 80 WIPianer“ sieht sie die Möglichkeit einer Anschlußfinanzierung nach dem Hochschulsonderprogramm III (HSP). Unter dem Titel „Innovative Forschung“ werde in dem Programm für eine vierjährige Laufzeit 33,5 Millionen Mark zur Verfügung gestellt, die vorzugsweise den WIPianern zugute kommen sollen – „vorausgesetzt, es liegen entsprechende Anträge vor“. Einschränkend führt Schneider an, es sei „nicht hundertprozentig sichergestellt, daß diese Mittel nur für WIPianer verwendet werden“. Prinzipiell könne jeder Wissenschaftler einen Antrag stellen. Schließlich seien die WIPianer nicht die einzigen, die unter der desolaten Finanzlage und den Sparmaßnahmen an den Berliner Unis leiden.
Nicht jeder von einem WIPianer gestellte Antrag erreicht auch die Senatsverwaltung. Schon in den Universitäten werden Anträge ausgesiebt. So werden grundsätzlich alle Anträge abgelehnt, wenn sich aus einem neuen Beschäftigungsverhältnis das Recht auf einen Dauerarbeitsplatz ableiten lasse. So soll verhindert werden, daß Betroffene sich mit Berufung auf Kettenarbeitsverträge über die Gerichte einen unbefristeten Arbeitsplatz sichern. An der TU Berlin sind aus diesem Grund 16 Anträge ablehnt worden.
Wie die maximal 80 zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze an den Berliner Hochschulen und Forschungseinrichtungen verteilt werden, ist noch ungeklärt. „Wer die Mittel bekommt, das ist bei uns gerade in Arbeit“, meint Sprecherin Schneider. Daß jedoch mehr Anträge weitergeleitet werden, als finanzierbar sein werden, ist jetzt schon deutlich abzusehen. So sind allein an der Technischen Universität schon Anträge für 61 MitarbeiterInnen für die Weiterleitung positiv beschieden worden. Stadtplaner Schulz ist nicht dabei. Sein Antrag wurde abgelehnt. Der Grund wurde ihm nicht mitgeteilt, aber er will es ein noch zweites Mal versuchen.
Für Martin Holtzhauer, Biochemiker am Max-Delbrück-Centrum (MDC) in Berlin-Buch, ist auch die Weiterfinanzierung durch das Hochschul-Sonderprogramm nicht die Lösung. Spätestens wenn das Sonderprogramm ausläuft, „stehen wir vor dem gleichen Problem. Nur daß dann noch weniger Druck da ist, um etwas zu erreichen.“
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