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Kino als Pauschalreise

■ Der 9. Filmhistorische Kongreß widmet sich unter dem Motto Triviale Tropen dem exotischen Blick auf Fremde

In nieseliger Novembertrübheit mag manchen die Sehnsucht nach tropischen Gefilden befallen. Doch Vorsicht, aller Werbung der Reisebranche zum Trotz gibt es den tropischen Traum nur im Kopf und nicht in der Realität. Das wirkliche Leben ist auch unter Palmen kein Paradies. „Traurige Tropen“ titelte so der französische Philosoph Claude Lévi-Strauss, „Traumatische Tropen“ setzte der englische Ethnologe Nigel Barley noch eins drauf und konstatiert, daß an der Fremde vor allem derjenige fremd ist, der sie besucht.

Triviale Tropen heißt nun der 9. Filmhistorische Kongreß, der ab heute im Museum für Völkerkunde und im Metropolis vom „CineGraph“ veranstaltet wird. Er widmet sich der großen Anzahl exotischer Spielfilme, die zwischen 1918 und 1936 in Deutschland produziert wurden, und bezieht vergleichend auch frühe Dokumentar- und Werbefilme ein. Die Sehnsucht nach Exotik und immer auch Erotik in der Ferne war damals kaum anders als heute, ihr waren aber statt der Jumbo-Jets nur die Kinopaläste zur kleinen Flucht aus dem Alltag geöffnet. Kommentar aus dem Film Kurier von 1933: „Die Insel der Dämonen ist ein beglückender Film. Beglückend, weil es irgendwo in der Welt noch Menschen gibt, edel wie Griechenstatuen, Menschen, der Natur selbstverständlich verwachsen. Europäer-Zivilisation nahm diesen Menschen noch nicht den Zauber, Missionar-Ängstlichkeit hüllte die Leiber noch nicht überall in geblümten Fabrik-Kattun.“

Und nur allzuoft war dieses irgendwo schlicht in Neu-Babelsberg oder der Lüneburger Heide. Wurde jedoch auf Bali gedreht, ist nur zu sichtbar, wie Europa den Filmemachern unentrinnbar im Kopf sitzt. Das hat sich bis heute kaum geändert, allein am alten Material läßt sich dies deutlicher demonstrieren. Und so handeln die Vorträge von den Völkerschauen als Vorläufer exotisierender Abenteurerfilme, stellen den Exotik-Produzenten John Hagenbeck und den nationalistischen Reisefilmer Colin Ross, den Abenteurer und Regisseur Hans Schomburgk und die mit Karl May befreundete Filmautorin Marie Luise Droop vor, räsonieren anhand früher Reisefilme über den Tourismus und analysieren die Konstruktion von Gegenwelten aus den Bildbausteinen von den Rändern der Welt.

Und neben aller theoretischen Aufarbeitung wird am Abend das Kino manchmal doch wieder seine eigene exotische Magie entfalten und als Traumboot in die Ferne entführen. „In tropischen Gefilden. Von der Riesenschlange gebissen. Liebe u. Eifersucht. Das Todesboot. Ausgestoßen. Im Kampfe mit Eingeborenen, Löwen, Tigern usw. Gehetzte Flucht durch die Wildnis. Gerettet in der Heimat. Gesühnt“, heißt es in der Anzeige zu dem „großen Tropen-Sensationsfilm“ Das Traumboot. Was mehr kann man da noch wollen? Hajo Schiff

Eröffnungsveranstaltung: Do, 21. November, 19.30 Uhr, Metropolis / Vorträge Fr-So 9.30 bis 16.30 Uhr, Museum für Völkerkunde / Filme: Fr-So jeweils 17, 19 und 21 bzw. 21.15 Uhr, Metropolis

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