piwik no script img

Western: High-noon bei der Nato

■ Der Streit um die Besetzung der Regionalkommandos in Europa blockiert die Diskussion um die Nato-Reform

Brüssel (taz) – Frankreich hat gestern erneut die Regionalkommandos der Nato in Europa für die Europäer beansprucht. Auf der Jahrestagung der Nato in Versailles sagte der französische Verteidigungsminister Charles Millon, dies führe zu „einem ausgewogeneren Gleichgewicht zwischen Europäern und Amerikanern im Rahmen einer erneuerten Allianz“. Der Streit um die Regionalkommandos blockiert derzeit die Reformdiskussion in der Nato.

„Das sieht bald so aus wie in der Schlußszene von ,High-noon‘, wo zwei Pistoleros zum letzten Duell auf die Straße kommen“, flüsterte ein hoher General, der lieber in Deckung bleiben möchte. In den Hauptrollen stehen sich gegenüber: US-Präsident Bill Clinton und der französische Staatschef Jacques Chirac. Der Plot: Desperado Jacques, soeben in die Nato- Heimat zurückgekehrt, will in Neapel das Kommando übernehmen, doch Obersheriff Bill ist entschlossen, bis zur letzten Patronenhülse auszuharren.

Was bisher geschah: Nach dem Ende des kalten Konfliktes mit den roten Kriegern im Osten beschlossen die Sheriffs (16 Staats- und Regierungschefs) der Transatlantischen Allianz, das Bündnis für neue Herausforderungen in der Prärie (Bosnien, Afrika etc.) umzubauen. Von den derzeit 65 Hauptquartieren würden sie am liebsten 45 aufgeben und das Kommando auf zwanzig verbleibende Forts konzentrieren. Neapel ist nach dieser Planung für die Sicherheit südlich der blauen Berge (Alpen) einschließlich des großen Sees (Mittelmeer) zuständig. Im Saloon in Brüssel wird um die knapper werdenden Posten für Hilfssheriffs (Generäle) gepokert.

Da kommt Jacques nach Hause. Vor 29 Jahren war sein Vorfahr De Gaulle aus der Nato ausgezogen, weil ihm Bills Vorfahr Lyndon B. Johnson seinen nagelneuen Colt (Atomwaffe) nicht gönnen wollte. Der zurückgekehrte Jacques (französischer Präsident) fordert nun seinen gerechten Anteil. Hatten ihm seine europäischen Brüder nicht laufend hinterhertelegraphiert, er solle nach Hause kommen? Hatten sie nicht versprochen, ihn mit offenen Armen aufzunehmen? Hatte nicht sogar Bill (US-Präsident) persönlich gesagt, daß die französischen Truppen in Europa eine wichtige Rolle spielen müßten? Jacques hatte sie gewarnt, er werde wieder mit ihnen reiten, hatte er gesagt, aber sie werden einen Preis dafür zahlen müssen. Jetzt ist ihm das Fort in Neapel gerade gut genug.

Doch da hat er die Rechnung ohne Bill (US-Präsident) gemacht. Seine Generäle (Kommando Süd) haben sich nicht nur an das milde Klima am großen See (Mittelmeer) gewöhnt, sie haben dort auch viele Schiffe (6. US-Flotte) liegen, die sie auf keinen Fall einem fremden Hilfssheriff (französischer General) anvertrauen wollen. Das geht schon allein deshalb nicht, weil sie die Schiffe für eigene Expeditionen (US-Missionen ohne Nato-Auftrag) in den Nahen Osten und in den Golf brauchen.

Als die Luft im Saloon bereits zum Zerreißen gespannt war, stand plötzlich Vizesheriff Volker (Rühe, deutscher Verteidigungsminister) auf und deutete auf Jacques (französischer Präsident): „Er hat recht“, murmelte Volker in das lähmende Entsetzen der übrigen Sheriffs (Nato-Minister). Sie rätselten, was Volker gestochen haben könnte, daß er ohne Not den Konflikt noch anheizte. Mit einer gütlichen Einigung war jetzt nicht mehr zu rechnen. Sie setzten ihre Pokergesichter auf und wurden seither nicht mehr gesehen.

Jacques (französischer Präsident) und Bill (US-Präsident) haben auf stur geschaltet. „Keiner weiß mehr, wie die Sache auf die Ebene zurückzuholen ist, auf die sie gehört“, flüstert der Nato-General, der in jedem Fall weiter in Deckung bleiben möchte.

Eigentlich sollte der Nato-Stab bis Mitte Dezember einen Reformvorschlag ausarbeiten, über den die Verteidigungsminister dann entscheiden. Doch dafür sieht es schlecht aus. Solange sich die beiden Revolverhelden mit angewinkelten Unterarmen gegenüberstehen, will sich niemand bewegen. Alois Berger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen