Somozismus ohne Somoza

In Nicaragua verbreitet das Wirtschaftsprogramm der neuen liberalen Regierung Angst vor weiterem Sozial- und Bildungsabbau  ■ Aus Mexiko Anne Huffschmid

Die Herausforderung war denkbar sanft: Eine „gewisse Flexibilisierung der Wirtschaftspolitik“, die Förderung von Klein- und Mittelgewerbe oder auch der „rationale Gebrauch regionaler und lokaler Ressourcen“ – all dies sollte als „nationale Mindestplattform“ für die nächste gewählte Regierung in Managua gelten. Fast alle der 23 Präsidentschaftskandidaten unterschrieben das Dokument, an dem die renommierte Internationale Stiftung für die weltwirtschaftliche Herausforderung (Fideg) monatelang gefeilt hatte. Nur einer weigerte sich strikt, seinen Namen unter die Plattform zu setzen. Diese sei nichts „als sandinistische Manipulation“, ereiferte sich der Spitzenkandidat der Liberalen Allianz, Arnoldo Alemán – und gewann wenig später die Wahlen.

Trotz aller Querelen um die chaotische Stimmabgabe am 20. Oktober wird der schwergewichtige Kaffeepflanzer dieser Tage offiziell zum künftigen Staatsoberhaupt Nicaraguas gekürt. Was der Liberale statt dessen zur vielbeschworenen Wiederbelebung der Wirtschaft zu tun gedenkt, hat er bislang allerdings nicht verraten.

Hinter dem 50jährigen Exbürgermeister von Managua steht eine überaus heterogene Interessenkoalition. So haben nach Einschätzung des Politmagazins envío das millionenschwere Miami-Exil und die traditionelle Oligarchie die Alemán-Kampagne vor allem in der Hoffnung auf eine Art „Somozismus ohne Somoza“ mitfinanziert. Spannend werden dürfte nun der Konflikt zwischen dem Fluchtkapital der Exilanten, das Alemán wieder in die Heimat locken will, und den Interessen der daheimgebliebenen Produzenten.

Ohnehin wird die nicaraguanische Wirtschaft im engen Korsett von Strukturanpassung und Stabilitätspolitik in absehbarer Zeit kaum Luft holen können. So sieht die Fideg-Ökonomin Maria Rosa Renzi „so gut wie keinen Spielraum“ für eine grundsätzlich andere Wirtschaftspolitik. Der Staat darf sich laut IWF-Vorgaben nicht weiter verschulden. Und die überlebensnotwendige internationale Hilfe dürfte sich 1997 drastisch reduzieren.

Dabei wird Nicaragua auch weiterhin am ausländischen Tropf hängen. Dieses Jahr hat das Land wieder für eine Milliarde Dollar, rund die Hälfte seines Inlandsprodukts, im Ausland eingekauft; nur die Hälfte davon konnte aus Exporten wieder erwirtschaftet werden. Diese „strukturellen Restriktionen“, so Renzi, machen die vielgelobten Stabilitätserfolge „sehr verwundbar“ – und die Armut bis auf weiteres zum Dauerzustand. Internationale Wettbewerbsfähigkeit sei nicht ohne eine „Revolutionierung des Bildungssystems“ herzustellen, und die sei unter den gegebenen Umständen „eher unwahrscheinlich“.

ExpertInnen befürchten einen drastischen Abbau der Sozialversorgung. Zwar haben die Sozialkassen schon unter den Sandinisten und verstärkt seit dem Antritt der Regierung Violeta Chamorro 1990 heftige Einbussen hinnehmen müssen. Unter Doña Violeta, wie die scheidende Präsidentin quer durch alle Lager ehrfurchtsvoll genannt wird, aber wurde „im Sozialbereich wenigstens nichts privatisiert“, meint Flor de Maria Monterrey, Funktionärin des staatlichen Familienfonds Fonif. Von den Liberalen erwartet die Soziologin eine rapide Demontage der verbliebenen „Sozialprivilegien“.

Auch der Arzt Carlos-Ernst Vanzetti, Leiter der neurochirurgischen Abteilung im Fonseca-Krankenhaus, hat keine hohe Meinung von den Liberalen. „Ein paar Tote mehr spielt für die keine Rolle“, meint er lakonisch. Schon in den letzten Jahren habe es eine „beeindruckende Verschlechterung“ im Gesundheitswesen gegeben. Hatte die Regierung 1989 noch 35 Dollar im Jahr pro Kopf für Gesundheitsbereich ausgegeben, so waren es sechs Jahre später weniger als die Hälfte.

Wichtiger als etwaige entwicklungs- und sozialpolitische Weichenstellungen aber ist der Alemán-Regierung erklärtermaßen die Lösung der brisanten Eigentumsfrage. So ist in der Präambel des liberalen Regierungsprogramms das „Recht auf Eigentum“ direkt hinter dem auf Leben und auf Freiheit verewigt. Gemeint ist damit das Recht der „Konfiszierten“ auf Rückerstattung oder Entschädigung ihrer von den Sandinisten enteigneten Anwesen.

Von der sandinistischen Umverteilung sind in den 80er Jahren rund 120.000 Bauernfamilien und 80.000 städtische Haushalte begünstigt worden. Unter Präsidentin Chamorro sind später weitere 50.000, meist ehemalige Staatsangestellte, Contras und Soldaten via Aktienbeteiligung in den Genuß einer Art „kollektiver Privatisierung“ gekommen.

Schon aufgrund der prekären Lage auf dem Land – nach Angaben des nationalen Viehzüchter- und Bauernverbandes Unag sind rund 80 Prozent der Landwirte von Krediten und anderem Input weitgehend abgeschnitten – verkauften in den letzten Jahren immer mehr Bauern und Kooperativen ihr Stückchen Boden wieder. Nun wird ihnen der verbliebene Besitz auch zunehmend auf juristischem Weg streitig gemacht. Schon 1990 setzte Doña Violeta eine Kommission zur Revision von Konfiszierungen ein. Knapp 5.300 Altbesitzer klagten seither auf diesem Wege ihre Besitztümer ein.

Explizit ausgeschlossen von jeglichen Restitutionsansprüchen waren bislang allerdings Angehörige des Somoza-Clans. Das könnte jetzt anders werden. Unter Alemán drohe den Kooperativen und Kleingrundbesitzern „ein regelrechter Justizkrieg“, meint Dolores Garcia von der „Volkskanzlei“ in Masaya.

Einer der ersten Betroffenen könnte Wahlverlierer Daniel Ortega sein. Denn der sandinistische Expräsident wohnt in einem Haus, das früher einmal dem Wahlmanager der Liberalen gehört hatte. Das wolle er „dem Comandante“ ja nicht unbedingt wieder wegnehmen, so Alemán genüßlich vor laufenden Fernsehkameras, aber dann solle dieser wenigstens „die paar Millionen Dollar“ Entschädigung zahlen.