: Stromopoly mit Schweden-Happen
Letzte Runde im HEW-Verkauf hat begonnen: Im Duell zwischen den Energiekonzernen Preag und RWE um die Atompolitik im Norden wird kein Trick verschmäht ■ Von Marco Carini
Die Wochenendlektüre fiel nicht üppig aus. Gerade mal zwei Kauf-Angebote bekamen Finanzsenator Ortwin Runde und Umweltsenator Fritz Vahrenholt (beide SPD), die seit Wochen den Ausverkauf der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) vorbereiten, bis Freitag vergangener Woche auf den Tisch. Da die Bewerbungsfrist für Käufer in diesen Tagen abläuft, ist die Vorentscheidung im Hamburger Stromopoly gefallen: Die beiden deutschen Energiegiganten Preussen Elektra (Preag) und die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) machen den HEW-Schlußverkauf unter sich aus.
Gerade das aber hatte zumindest die atomkritische Fraktion der SPD, für die neben finanz- auch energiepolitische Zielsetzungen zählen, um jeden Preis verhindern wollen. Die Genossen befürchten, jeder Aktienkauf der stramm auf Atomkraftkurs eingeschworenen RWE oder der Preag, die zusammen mit den HEW die Atommeiler Krümmel, Stade, Brokdorf und Brunsbüttel betreibt, würde den in der HEW-Satzung festgeschriebenen Atomausstieg endgültig zur Makulatur verkommen lassen.
Lange hatte es so ausgesehen, als würden die Aktienpakete nicht zwangsläufig in den Schoß eines der beiden Atom-Riesen fallen. Zu Beginn der Verkaufsverhandlungen hatten sich die Top-Manager der größten europäischen und angeblich sogar US-amerikanischer Energiekonzerne die Klinke in die Hand gegeben, um – bewaffnet mit dicken Geldbündeln – Runde und Vahrenholt die zum Abschuß freigegebenen HEW-Anteile abzujagen. „Wir haben in Hamburg verhandelt“, bestätigte vorige Woche etwa Carl-Erik Nyquist, Präsident der schwedischen Vattenfall, gegenüber der taz. Doch am Ende mußte auch der Stockholmer Energiegigant, immerhin Europas sechstgrößter Stromlieferant, passen. Nyquist: „Wir konnten nicht mehr mitbieten.“ Auch andere renommierte europäische Energieunternehmen, etwa die englische „British Gas“, stiegen nach und nach aus dem Verhandlungspoker aus, nur zwei Zocker blieben übrig.
Ausgetrickst wurden die Interessenten an der Börse. Seit die Verkaufsabsichten des Hamburger Senates durchsickerten, wurde der Kurs für die HEW-Wertpapiere systematisch nach oben getrieben. Allein zwischen Januar 1995 und März 1996 stieg der Kurs der Aktie von 250 auf den Rekordkurs von 462 Mark.
Offenbar wurde dabei der Wert mit allen Mitteln und Tricks, die die Börse bietet systematisch nach oben gepuscht. Längst ist es ein offenes Geheimnis, daß mindestens einer der beiden noch verbliebenen Kauf-Bewerber sich bereits große Teile des knapp 30prozentigen HEW-Aktienpaketes unter den Nagel gerissen hat, das nicht mehr Hamburg gehört und offiziell ganz irreführend unter der Rubrik „Streubesitz“ verbucht wird. Ein HEW-Mitarbeiter vielsagend: „Der Kurs der Papiere ist nicht durch Angebot und Nachfrage der Kleinaktionäre so in die Höhe geschnellt.“
Das Kalkül ging offenbar auf: Geschickt gelang es den heimlichen Großaktionären, den Wert ihrer eigenen und den Kaufpreis der zum Verkauf stehenden HEW-Anteile in schwindelerregende Höhen zu katapultieren und so die Konkurrenz aus dem Feld zu räumen. Seit die meisten Bieter ausgestiegen sind, fällt der Wert der Anteilsscheine wieder.
Doch nicht nur der überhohe Aktienkurs schockte viele Bewerber. „Das Atomrisiko“, so ein Insider, „hat viele Interessenten verprellt.“ Denn besonders die abgetakelten Reaktoren in Krümmel und Brunsbüttel, die beide monatelange Zwangspausen wegen nachgewiesener Rohrrisse hinter sich haben, gelten als Risikopotential. Daß das rot-grüne Kieler Energieministerium sich die Stillegung der beiden Reaktoren auf die Fahnen geschrieben hat, verhinderte zudem, daß ausländische Bieter ihre Portemonnaies allzu weit öffnen mochten.
Aber nicht nur ausländische Bewerber waren abgesprungen. Im Dezember 1995 hatte HEW-Vorstandsmitglied Joachim Lubitz gewitzt die Berliner Bewag als potentielle Aktienkäuferin ins Gespräch gebracht. Bewag und HEW, so Lubitz' kühner Plan, sollten sich gegenseitig im großen Stil Firmenanteile aus städtischem Besitz abkaufen. Die üppigen Firmenrücklagen sollten so – über Kreuz – in die leeren Finanzsäckel der Berliner und der Hamburger Stadtregierung fließen: Die HEW würden für Bewag-Aktienpakete Millionen in den Berliner Haushalt zahlen, die Bewag desgleichen für HEW-Anteile in die Hamburger Kassen. Der Vorteil für die beiden Stadtwerke: Sie würden so verhindern, daß die Strommultis RWE und Preag Anteile und damit das Ruder in Hamburg und Berlin übernehmen.
Doch Lubitz' kluger Plan wurde in Berlin gekippt. Dort einigte sich die Landesregierung mittlerweile darauf, statt ursprünglich 25 Prozent alle 50,8 Prozent der noch im Stadtbesitz befindlichen Bewag-Anteile abzustoßen. Eine Aktienmehrheit an dem Berliner Stadtwerk, so das Kalkül, könnte auch für ausländische Stromkonzerne lukrativ sein, die als Minderheits-Gesellschafter zu Recht befürchten müßten, von den Partnern ausgehebelt zu werden. Nur über einen Mehrheitsverkauf könnten Preag und RWE draußen vor der Tür gehalten werden.
Das wird in Hamburg nun nicht mehr gelingen, und auch im Bieter-Duell zwischen Preag und RWE wird weiter kräftig gepokert. Sowohl im Hamburger Rathaus wie in der Preussen-Elektra-Zentrale in Hannover ersannen die Verhandlungspartner pfiffige Tricks, wie die Verkaufsweichen in Richtung des heutigen HEW-Partners Preag gestellt werden könnten, der keinesfalls leer ausgehen soll.
Bereits Ende März hatte Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau gegenüber einem großen deutschen Nachrichtenmagazin ausgeplaudert, daß der Aktienverkauf an die Zusage des Käufers gebunden werden könnte, mittelfristig die Atommeiler Brunsbüttel und Krümmel stillzulegen. Die Ausstiegsklausel sollte die SPD-Linke ausbremsen, die zuvor mit der Befürchtung gegen den HEW-Ausverkauf Sturm gelaufen war, daß Hamburg mit den Aktienpaketen zugleich den Einfluß auf die Atompolitik in der Region verliere.
Doch die Stillegungs-Zusage zielt auch in Richtung Preag, sie ist eine „Lex Elektra“: Denn der im Atomstrom-Überangebot schwimmende Energieriese wäre eher als Konkurrent RWE bereit, Reaktoren abzuschalten, wenn er dafür einen noch größeren Zugriff auf die Atommeiler in Stade und Brokdorf erhält, die er zusammen mit den HEW betreibt.
In der niedersächsischen Preag-Zentrale machte man sich unterdessen Gedanken, wie man beim Aktiendeal das Kartellrecht aushebeln könnte. Hatte doch das Bundeskartellamt bereits im März durchblicken lassen, einen Aktien-Verkauf an die Preag auch dann kritisch zu prüfen, wenn der Energiemulti nicht die Sperrminorität von 25 Prozent erreicht. Mithilfe eines Schweden-Happens wollen die Preag-Bosse nun ihren Aktien-Hunger stillen.
So hat Vattenfall-Präsident Nyquist es „läuten hören“, daß sein größter nationaler Konkurrent, die Malmöer „Sydkraft“, beim Hamburger Aktien-Monopoly „noch im Spiel“ ist. Doch an dem südschwedischen Energieunternehmen ist wiederum die Preag beteiligt: Sie hält über 17 Prozent der Aktien und mehr als 27 Prozent der Stimmen des Stromversorgers – und damit mehr als jedes andere Unternehmen. Bieten Preag und Sydkraft im Verbund, sind dem Kartellamt die Hände gebunden.
Noch in diesem Jahr, so ließ Hamburgs Verhandlungsführer Ortwin Runde Mitte vergangener Woche durchblicken, sollen die Würfel im Hamburger Stromopoly endgültig fallen. Dabei sieht es zur Zeit so aus, als würde Hamburg zwar weniger als die Hälfte der HEW-Aktien, aber mehr als 50 Prozent der Stimmen behalten – denn ein Teil der Wertpapiere erlaubt doppeltes Stimmrecht. Die Weichen für den Aktien-Endspurt sind somit gestellt – nur die Verkaufs-Details werden erst dann offenliegen, wenn Ortwin Runde auch die letzte Ereigniskarte aufgedeckt hat.
(Weiterer Bericht Seite 6)
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