: Multiple Höhepunkte
Kinobetreiber in Goldgräberstimmung: Berlin wird Multiplex-Stadt. Die Großunternehmen richten sich auf harte Konkurrenzkämpfe ein, für die Kleinen geht es um das nackte Überleben ■ Von Kolja Mensing
Ein Gespenst geht um in Deutschland. Ein Gespenst, das nach Popcorn riecht, ein Dolby-Surround-System im Handgepäck hat und auf den Namen „Multiplex“ hört. Multiplex-Kinos erobern seit 1990 die deutsche Kinoszene. Die Filmpaläste nach amerikanischem Vorbild haben zehn oder mehr Leinwände, einen riesigen Parkplatz vor der Tür und protzen mit einem kunterbunten Zusatzangebot vom Candy-Stand bis zum Poster-Shop. Berlin ist wieder einmal Hauptstadt: Hier sollen in den nächsten Jahren zwischen 20 und 30 Multiplex-Kinos mit insgesamt circa 60.000 Sitzplätzen entstehen.
Bisher gibt es in ganz Deutschland 17 Multiplexe. Die großen Kinobetreiber sind in Goldgräberstimmung und konzentrieren sich auf Berlin: Die Hamburger Flebbe-Kette plant hier Neueröffnungen genauso wie die amerikanische Betreiberfirma UCI. Den Anfang macht die Ufa. Am 18. Dezember eröffnet das mit zehn Leinwänden und einer Tiefgarage aufgemotzte „Kosmos“-Kino an der Karl- Marx-Allee in Friedrichshain.
Bei der Ufa, die schon mit mehreren Kinos in Berlin vertreten ist, weiß man, daß die Stadt keine unbegrenzte Zahl an Multiplex-Kinos verkraften kann. „Es geht nur bis zu einer bestimmten Größe“, glaubt Pressesprecherin Tanja Güß, will sich aber auf keine Prognosen festlegen. Statt dessen plant die Ufa ein zweites Multiplex auf dem Alexanderplatz und setzt auf die Trial-and-error-Methode: „Berlin hat einen großen Kinomarkt“, erläutert Güß, „wie groß er allerdings wirklich ist, wird sich noch herausstellen.“
Leere Kinopaläste als Schreckensvision
Inzwischen werden auch die Stadtplaner unruhig. Sie malen sich Schreckensszenarien mit leerstehenden und verfallenden Kinopalästen aus. In einer Untersuchung hat die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung jetzt festgestellt, daß Berlin maximal elf Multiplex-Kinos mit insgesamt 28.500 Plätzen verkraften kann.
Nun hoffen die Planer auf Einsicht. Am Montag lud die gemeinsame Landesplanungsabteilung der Länder Brandenburg und Berlin an einen Runden Tisch zum Thema „Multiplex-Kinos“ nach Potsdam. Dort sollten alle Betroffenen – Verwaltung, Kommunalpolitiker und Betreiber – ihre bisherigen Erfahrungen mit der Umsetzung von Multiplex-Planungen diskutieren. Das Ziel war, einen „ruinösen Wettbewerb“ zu vermeiden. Trotz der guten Absichten: Die Gefahr eines overscreening Berlins konnte auch diese Konferenz nicht abwenden.
Zwar machte Gerd Gebhardt von der gemeinsamen Landesplanungsabteilung den Vorschlag, für die Standortfragen der Großkinos in Berlin und Brandenburg eine „Paketlösung“ zu versuchen. Das würde heißen, in den nächsten zwei bis drei Monaten anhand eines bestimmten Kriterienkatalogs die Claims der einzelnen Multiplexer abzustecken. Doch diese Rechnung kann zumindest in Berlin nur dann aufgehen, wenn die Bezirke mitspielen. Denn die können selbst bestimmen, ob sie ein Mega-Kino wollen oder nicht. Zur Zeit entscheiden sie sich im Zweifelsfall dafür: Zu attraktiv und glitzernd ist die Zauberscheinwelt der Multiplex-Kinos. Mit den „Erlebnis-Kinos“ verbinden Kommunalpolitiker und Gewerbetreibende Aufschwung und neues Leben für strukturschwache Viertel in der Großstadt.
Die Verantwortlichen setzen auf Quantität: So hat sich beispielsweise das Bezirksamt Friedrichshain über längere Zeit nicht daran gestört, daß an der Landsberger Allee, einen knappen Kilometer vom „Kosmos“-Multiplex entfernt, ein zweites Riesenkino, betrieben von UCI, entstehen sollte.
Für einen Masterplan ist es längst zu spät
Bei der UFA war man sauer. Pressesprecherin Güß: „Es kann natürlich nicht sein, daß zwei Multiplexe so nah beieinanderstehen. Die Bezirke müssen sich überlegen, wie viele Großkinos sie vertragen können.“ Inzwischen ist dieses Vorhaben vorläufig auf Eis gelegt.
Von solchen Einzelentscheidungen hängt die Zukunft der Berliner Kinolandschaft ab. Denn stadtplanerische Initiative, die auf eine Koordination der Gesamtentwicklung abzielt, kommt zu spät: ein Kino-Masterplan für Berlin stünde unter dem Druck zu vieler verschiedener übersteigerter Erwartungen. Dabei geht es vor allem um viel Geld. Deutschland erlebt einen Kinoboom – im Sommer haben Filme wie „Independence Day“ und „Mission: Impossible“ gezeigt, daß es auf diesem Markt einiges zu verdienen gibt. Im aktuellen Geschäftsbericht des Hauptverbands Deutscher Filmtheater wird es deutlich ausgesprochen: Die bisher vom Mittelstand bestimmte Kinobranche wird in den nächsten Jahren eine Umstrukturierung erleben – Großinvestoren sorgen für die Konzentration der wirtschaftlichen Macht.
Als die Filmförderungsanstalt (FFA) in den vergangen Tagen eine Studie zur Entwicklung der Multiplex-Kinos in Deutschland veröffentlichte, konnte sich die Pressestelle vor Anfragen der Banken kaum retten: „Die wollen sich darüber informieren, ob es sich lohnt, solche Projekte zu finanzieren“, erklärt Sprecherin Silke Zimmermann. Allerdings widmet sich die Untersuchung, die FFA-Vorstandsmitglied Rolf Bähr frei nach Fassbinder „Angst essen Säle auf?“ betitelt hat, vor allem den Auswirkungen der Multiplexe auf die benachbarten Kinos, die sogenannten „Umfeldkinos“.
Der Bestand dieser Filmtheater ist in ganz Deutschland rückläufig. Zwar stiegen in Städten wie Kiel oder Nürnberg, wo es die jüngsten Großkino-Eröffnungen gab, die Besucherzahlen um runde zehn Prozent. Es profitierten jedoch nur die Multiplexe. Die Umfeldkinos jedoch mußten Einbußen von bis zu 20 Prozent hinnehmen – sie schließen, wenn sie die Einbußen wirtschaftlich nicht verkraften können. Deutliche Worte findet die FFA zwar nicht – da sie von den Kinos entscheidend mit finanziert wird, kann sie sich scharfe Verurteilungen der Multiplex-Großunternehmen kaum leisten. Aber die Zahlen sprechen für sich: Der Berliner Kinolandschaft steht einiges bevor.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen