: Riesen Herzenswärme
■ Dem Baby nicht die Cornflakes wegfuttern - Alain Taylors "Palookaville" versammelt ein paar Slacker-Gangster zur zwischenmenschlichen Deeskalation
Der Einstieg ist verblüffend schläfrig. Mit ein paar kurz gehaltenen Einstellungen zeigt Alain Taylor in seinem Spielfilmdebüt, wie drei Männer um die Dreißig versuchen, bei einem Juwelier einzubrechen. Zunächst wird der Wagen hinter dem Haus geparkt, dann klettert man über den Hinterhof in den Keller und klopft ein Loch in die Wand, während sich der Fahrer draußen auf Schmiere die Beine vertritt.
Irgendwann schaut er skeptisch durch das Fenster der nebenan liegenden Bäckerei: Seine beiden Kollegen haben sich im Haus geirrt und tapsen nun unbeholfen zwischen Backblechen voller Donuts herum. Schon heulen Polizeisirenen aus der Ferne, und man weiß, daß „Palookaville“ vom Scheitern handeln wird. Dabei sind kaum fünf Minuten vergangen.
Die Faszination am amerikanischen Independent-Kino der letzten Jahre liegt im Verwischen von Geschwindigkeiten. Alles ergibt sich aus dem Augenblick. Eben noch mit Behutsamkeit als Story aufgebaut, wirft die nächste Szene das sorgfältig zusammengefügte Bild wieder über den Haufen. Das Ganze ähnelt einer angegrungten Filmvariante des Rock: Schwerfällig schlurfen Gitarren dahin, bis ein harter Schlagzeugwirbel lauter Breaks in die Melodie hackt.
Quentin Tarantino fädelt an diesen Stellen gerne Schießereien ein, bei Tom de Cillos „Living in Oblivion“ bekommen die Schauspieler unvermittelt Tobsuchtsanfälle. Auch Alain Taylor liebt diese Momente, in denen der Film kurz in Action zu entgleiten droht. Dann rast ein Geldtransporter in den Graben, weil der Fahrer wegen eines unvorhergesehenen Herzinfarkts darniederliegt, oder Schäferhunde werden auf dem Parkplatz mit einer Bohrmaschine erlegt. Und gleich darauf sieht man wieder ein paar Arbeitslosen beim eher tranigen Alltagsleben zu.
Nebenbei fließen in „Palookaville“ sämtliche Genres durcheinander, an denen sich B-Produktionen sonst erst aufrichten müssen. Vom Roadmovie nimmt der durch Videoclips geübte Taylor das Querfeldein-Cruising unter Freunden, die sich über den nächsten Coup streiten. Als Gangster sind die drei slackerhaften Figuren eher widerborstig und eckig wie Godards Nouvelle-vague-Helden der sechziger Jahre; und selbst die britischen Soziodramen schimmern ein wenig durch, als man sich nach dem verpatzten Ding mit der Bäckerei dazu entschließt, einen Fahrdienst für ältere Leute einzurichten – der American way von „Fish & Chips“. Natürlich geht auch der Abstecher ins Soziale schief, die Taxifahrer aus der Nachbarschaft stechen der unliebsamen Konkurrenz einfach die Reifen platt. Zuletzt bleibt ihnen allein noch der Überfall auf einen Geldboten übrig. Zwar wird dieser Showdown in einer Verfolgungsjagd zugespitzt, doch als es zum Shootout kommt, treffen die drei ohnehin überforderten Gangster nur das eigene Auto.
Gerade dieses selbst im Ernstfall friedfertige Patchwork der Randgruppen war einigen Kritikern zu unübersichtlich. „Zu dumm, daß ein bißchen hiervon und ein bißchen davon selten ein rundes Ganzes ergibt“, schimpfte jedenfalls die Fachzeitschrift Cinema und ärgerte sich zudem über Taylors ständig sympathischen Blick auf sein Personal, der eigentlich auf die verdrehten Kurzgeschichten des italienischen Schriftstellers Italo Calvino zurückgeht. Und auch Uberto Pasolini, der Produzent von „Palookaville“, wollte doch bloß einen Film machen, „den man überall auf der Welt verstehen kann“. In Venedig wurde er dafür 1995 als „bester Erstlingsfilm“ ausgezeichnet.
Tatsächlich nutzt „Palookaville“ all das Chaos, das aus einfachen Lebenszusammenhängen entsteht: Der stets hitzige Russ (Vincent Gallo) träumt vom echten Gangsterdasein in L.A., hat aber ausgerechnet einen kantigen Cop zum Schwager; Sid (William Forsythe) wohnt mit zwei stinkenden Hunden unter einem Dach, die ihm die verlorene Liebe ersetzen sollen; und Jerry (Adam Trese) ist ein holzfällerartiger Taps mit einem entsprechend kindlichen Gemüt, um den sich seine schwarze Frau Betty (Lisa Gay Hamilton) kümmern muß, weil er sonst dem Baby die Cornflakes wegfuttern würde. Russ holt sich seine Ratschläge fürs Erwachsenwerden derweil bei einer Prostituierten, die Frances McDormand mit der humorvollen Besonnenheit einer frustrierten Hausfrau spielt. Irgendwann findet selbst Sid eine Freundin, die in seine Kleinfamilie mit den Hunden paßt. Überhaupt fängt „Palookaville“ das unentwegte Scheitern mit einer riesengroßen Herzenswärme auf, die seine Protagonisten daran hindert, „diese Frustration in Gewalt umzuformen“, so Taylors Resümee. Nichts wird gut, aber schlimmer kommt es deshalb auch nicht.
Ein solches Konzept der zwischenmenschlichen Deeskalation scheint sogar den Geschäftsleuten von Jersey City gefallen zu haben, in deren Shops der Film gedreht wurde. Ein gewisser Damian Andrisano stellte nicht nur seine Bäckerei als Location zur Verfügung, sondern versorgte die gesamte Crew gleich mit Kuchen. Die Idee mit dem Diebstahl kam trotzdem von Calvino. Harald Fricke
„Palookaville“. Regie: Alain Taylor. Mit Vincent Gallo, William Forsythe, Frances McDormand, u.a. USA 1995, 92 Min.
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