: Matte Gesten, moderate Töne
■ Haushaltsdebatte: Große Koalition am Horizont?
Ein Gespenst geht um in Deutschland. Nach den zum zweitenmal von den Unternehmern sabotierten Metall- Tarifverhandlungen diskutierte der Bundestag über den Haushalt. Helmut Kohl versuchte dabei – ostentativ gelassen und durchaus eigene Fehler einräumend – den Tonfall vorzugeben: Der Bundeskanzler wollte moderieren, sowohl zwischen den Parteien als auch in der Sache. Die CDU/CSU und ihr Kanzler beschwören derzeit den immer dünner werdenden gesellschaftlichen Konsens. So wollen sie rhetorisch kitten, was die Unternehmer mit Hilfe der Koalition Stück für Stück zerschlagen.
Im Zentrum ging es in dieser Debatte indes um die Frage: Welche politische Konstellation kann ab 1998 die gegenwärtige Krise besser managen? Von Lösung wagt ohnehin keiner ernsthaft zu sprechen. Dies war auch Oskar Lafontaines Attacke gegen den Kanzler anzumerken. Seine Erklärung, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik einen „ganz anderen Kurs“ anzustreben, sein sachlich gebotener Aufruf, die Verteilung des Reichtums zu erörtern und die Binnennachfrage zu stärken, blieb bei aller leidenschaftlichen Geste eigentümlich matt.
Dies war nicht die Stunde einer Opposition, die die Regierung ablösen, sondern einer Partei, die mit der Regierung verhandeln will. Wo der Kanzler den Konsens der politischen Klasse einfordert, beharrt Lafontaine auf dem, von Koalition und Unternehmern, ramponierten sozialen Konsens. Die bundesrepublikanischen Volksparteien verabschieden sich, langsam und durchaus widerstrebend, von dem bisher erfolgreichen Modell der Konsensgesellschaft. Ohne es wirklich zu wollen, muß die CDU/CSU aus Gründen der Machterhaltung der besitzindividualistischen FDP folgen. Ohne jede Begeisterung muß sich die SPD in den künftigen Klassenkämpfen an die Seite der in diese Konflikte geprügelten Gewerkschaften stellen. Im Abschied erwacht die Nostalgie.
Wenn nicht alle Zeichen trügen, gewinnt das Projekt einer Großen Koalition an Attraktivität. Sie wird das nächste Mal – auch die Union hat gelernt – der SPD nicht wie 1966 als Entreebillett für eine Reformregierung dienen. Die Bündnisgrünen sollten sich rechtzeitig auf eine lange Zeit als tragende Oppositionspartei einstellen. Micha Brumlik
Bericht Seite 4
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