: Eine indische Pastorale
■ Neu im Kino: „Todas – am Rande des Paradieses“ von Clemens Kuby/ Die pure Idylle ist ganz schön fad.
Die Hölle ist im Kino viel schöner als der Himmel! Paradiesische Zustände wirken auf der Leinwand schnell fad, und was gibt es schon groß zu erzählen von ständig glücklichen Menschen. Auch deshalb wird mit Tucholskys Worten „nach dem Happy End schnell abge blend“ , und eine Textzeile aus einem Popsong bringt das Problem auf den Punkt: „Heaven is a place, where nothing ever happens“.
Vor diesem Dilemma stand auch der deutsche Dokumentarfilmer Clemens Kuby bei seinem Film über den kleinen südindischen Stamm der Todas, die in Harmonie mit sich und der Natur in den Nilgiri-Bergen leben, keinen Krieg, keine Kampf kennen und kaum arbeiten. Sie betreiben weder Ackerbau noch Handel oder Handwerk und leben von dem, was sie im Urwald finden sowie von der Milch der von ihnen verehrten wilden Büffel. „Es zog mich magisch zu den Todas hin, weil auch ich glücklich sein möchte.“ – so erklärt Kuby selber, warum er diese indische Pastorale gedreht hat. Und man merkt auch bei jeder Einstellung, wie sympathisch dem Filmemacher diese freundlichen, genügsamen Menschen sind. Für eine Weile gelingt es ihm auch, die Zuschauer mit den Bildern der sanften, parkähnlichen Landschaften, mit den behutsamen Portraits einzelner Menschen und ihren Erzählungen zu faszinieren. So leben die Todafrauen etwa in Vielmännerei, durch eine natürliche Art der Geburtenkontrolle wird die Zahl der Todas konstant bei etwa 1000 Stammesmitgliedern gehalten, und statt zu Göttern zu beten, kommunizieren sie mit ihren Geistern und Ahnen. Die Büffel, das Gras, die Steine – alle Materie ist für sie voller spiritueller Energie, die ihnen Schutz und Kraft gibt.
Aber nach einiger Zeit ist es dann doch zu viel des Guten, und wenn zum zehnten Mal die freundlich lächelnden Todas neben den friedlich weidenden Büffeln gezeigt werden, wünscht man sich, Kuby wäre nicht solch ein enthusiastischer Entdecker der Langsamkeit. Auch der salbungsvolle Grundton des Films beginnt einem mit der Zeit auf den Nerv zu gehen. Leider trägt auch die Filmmusik von Bübi Siebert viel zu dick auf – entweder schwelgt er in New-Age-Kitsch oder (wenn die Bedrohung durch die moderne Welt gezeigt wird) in gruselig, nervösen Dissonanzen.
Manchmal scheint es, als habe Kuby zu wenig Distanz zu den Todas, um einen wirklich guten Film über sie zu machen. So zeigt er etwa wie einer der Toda-Männer Hose und Schuhe anzieht und in die lärmende Stadt zieht. Kuby inszeniert dies wie den freiwilligen Auszug eines Narren aus dem Paradies, und weil die Todas nur barfuß über das Gras laufen, um ihm den gebührenden Respekt zu zollen, wirkt das Tragen von Schuhen wie ein Sakrileg. Die Stadt soll alle Übel unserer Zivilisation verkörpern, aber nach all den Weiden, Büffeln und immer gleich freundlichen Menschen wirkt selbst die schäbige indische Kleinstadt ganz ungewöhnlich attraktiv. Und man kann gut nachempfinden, was den Toda in das Straßengewimmel mit den grellen Filmplakaten, Videogeschäften und Kneipen lockt. Auch uns ist es am Rand des Paradieses schon ein wenig langweilig geworden.
Wilfried Hippen
Cinema tägl. 19 u. 23 Uhr
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