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Baumeister der Bewegung

Der Architekt August Endell hat nicht nur die Hackeschen Höfe gebaut. Die Trabrennbahn Mariendorf war seine umfangreichste Arbeit  ■ Von Harry Nutt

Wim Wenders fühlte sich für einen kurzen Moment nach Barcelona versetzt oder in eine oberitalienische Stadt. Im Prolog zu einem Bildband über die Hackeschen Höfe (Argon-Verlag) gerät er ins Schwärmen. „Diese Höfe atmen ein Stadtgefühl, nach dem man sich zurücksehnt wie nach einer besseren Zukunft.“ Michael Rutschky indes findet Gefallen an den unklaren Verhältnissen der Höfe. Schwer zu sagen, ob man drinnen ist oder draußen: „Man kann eine Anlage wie die Hackeschen Höfe als eine gigantische Umstülpung der Straße ins Haus auffassen, und der Bürger darf sich aussuchen, auf welcher Seite er sich gerade befindet.“

Die Fassaden des ersten Hofes, die solche Eindrücke beflügeln, stammen von dem Berliner Architekten August Endell (1871 bis 1925), der in dem Komplex an der Rosenthaler Straße außerdem die Neumannschen Festsäle entwarf, von denen heute nur noch der untere Saal, das Varieté Chamäleon, erhalten ist.

Endell hatte erst ganz allmählich zum Bauen gefunden und seine Imaginationen gewissermaßen von innen nach außen verlagert. In Berlin geboren und aufgewachsen, hatte er in Tübingen Philosophie und Psychologie studiert, aber schon ein Jahr später wechselte er nach München, wo er mit Kreisen der künstlerischen Avantgarde in Berührung kam. Zu seinen Freunden zählte Oscar H. Schmitz aus dem George-Kreis und Ernst von Wolzogen, der ihm später den Auftrag für den Bau des „Bunten Theaters“ in Berlin verschaffte. Entscheidenden Einfluß auf Endells Hinwendung zur Architektur dürfte jedoch der Bildhauer Hermann Obrist genommen haben, der 1892 in Florenz eine Kunststickereiwerkstatt gegründet hatte und als einer der führenden Vertreter des Jugendstils gilt.

Die ersten künstlerischen Arbeiten des Autodidakten August Endell waren Entwürfe für Friese, Teppiche, Möbel und Ornamente. Nebenher schrieb er Gedichte und ließ 1896 den Text „Um die Schönheit“ drucken, der ein schwärmerisches Dokument seiner gestalterischen Phantasie ist. Kurz zuvor hatte er Bekanntschaft gemacht mit Reiner Maria Rilke und Lou Andreas Salomé. Dabei war Endell kein umgänglicher Mensch. „Ihn in eine Gesellschaft zu laden war ein Wagnis“, schreibt der Kunstkritiker Karl Scheffler, „weil man nicht wissen konnte, mit wem er neuerdings verfeindet wäre.“ Dennoch zählte Endell später die Maler Max Liebermann und Lovis Corinth ebenso zu seinen Freunden wie den Dichter Gerhard Hauptmann und die Schauspielerin Tilla Durieux.

Die Maurer fürchteten den Spott der Kollegen

Erste Aufmerksamkeit erregte Endell 1897 mit der Gestaltung des Foto-Ateliers „Elvira“ in München, dessen Fassade ein riesiges asiatisches Drachenornament zierte, das das ganze Obergeschoß einnahm und jedes Jahr in einer anderen Farbe gestrichen werden sollte. Soviel träumerische Einbildungskraft löste in der Architekturwelt einen kleinen Skandal aus, und die Maurer des Baus ließen sich, so Scheffler, abends nicht in den Kneipen sehen, um nicht von Kollegen gefrozzelt zu werden. Hatte Endell in seinem Text über die Schönheit noch davon gesprochen, daß man sich zur Empfänglichkeit für die Schönheit des Sichtbaren erziehen müsse, so erzog er sich nach seiner Rückkehr nach Berlin im Jahr 1901 zu einer sachlicheren Gestaltungsweise. In einer Ausstellung des Kaufhauses Wertheim 1903 zeigte er die Einrichtung eines Speisezimmers, die allenfalls durch ihre Farbgestaltung, eine violette Tapete sowie eine zartgrüne Decke auffiel.

Während 1906/07 die Hackeschen Höfe gebaut werden, entsteht auch Endells Haus am Steinplatz 4, das ursprünglich als herrschaftliches Mietswohnhaus konzipiert war, aber schon kurz nach der Fertigstellung in ein Hotel umgewandelt wurde. Endells Hang zur Ornamentik kam nun meist im Inneren der Räume zur Geltung, aber bei weitem nicht mehr so pompös wie im Atelier „Elvira“, sondern eher spielerisch versteckt. So waren im Deckenstuck des Hauses am Steinplatz, kaum vernehmbar, kleine Glühbirnen eingefügt. Weitere Wohnhäuser, die wie das Haus am Steinplatz weitgehend erhalten sind, befinden sich in der Akazienallee 14/16 und in der Kastanienallee 32 in Westend. Nicht weit davon, in der Eichenallee 15, steht eine Villa Endells, die der jüdische Verleger und Pferdezüchter Bruno Cassirer bis zu seiner Flucht nach der Pogromnacht im November 1938 bewohnte.

Bruno Cassirer, der Endell bereits in München kennengelernt hatte, dürfte ihm auch zu seinem umfangreichsten Bauauftrag verholfen haben: die Trabrennbahn Mariendorf, die am 14. April 1913 eingeweiht wurde. Scheffler, der im Cassirer-Verlag die Zeitschrift Kunst und Künstler herausgab, schrieb dazu: „Mit welcher Intensität Endell an sich gearbeitet hat, das beweist sein letztes Werk, das zugleich wie ein vorläufiger Abschluß eines mühsamen Entwicklungsweges anmutet. Endell zeigt, daß er inzwischen ganz und gar sachlich geworden ist, ganz einfach und zweckvoll; aber er zeigt auch, daß die Detaillierlust seiner Jugend, daß die Fülle seiner Ornamentempfindung, daß der Sturm und Drang keineswegs nutzlos waren. Man braucht nur die eindrucksvolle Gruppierung der Haupttribünen und die leichte, ein wenig japanisierende Sommerarchitektur des oblongen Restaurants dazwischen zu sehen, um einzusehen, was der Erbauer der Trabrennbahn dem Dekorateur des Wolzogentheaters verdankt.“

Die Trabrennbahn Mariendorf war die erste Pferderennbahn, die als in sich geschlossenes Ensemble von Tribünen, Wetthallen, Restaurants und Stallungen von einem einzigen Architekten geplant und gebaut worden war.

Ländliche Idylle und urbane Dynamik

Dieser Festplatz einer illegitimen Kultur gehorchte einem ruhigen, beinahe ländlichen Entwurf, dessen urbane Dynamik erst spürbar wurde durch die bewegten Zuschauermassen, Pferde und bunten Dresse der Trabrennfahrer. Heute existiert neben einigen Stallungen, zwei Totalisatorhäuschen und der Gaststätte für das Stallpersonal noch die restaurierte, aber veränderte Haupttribüne, die erst unter Denkmalschutz gestellt wurde, nachdem Endells Zielrichterturm Anfang der 70er Jahre kurzsichtigen Baugelüsten geopfert wurde.

Wie die Straße ins Haus zu stülpen sei und umgekehrt, scheint Endell beinahe sein ganzes Leben beschäftigt zu haben. In seinem Essay „Die Schönheit der großen Stadt“ (1908), der nicht zuletzt eine Liebeserklärung an Berlin ist, versucht er seine Bauweise zugleich poetisch und programmatisch zu fassen. „Wer an Architektur denkt, versteht darunter zunächst immer die Bauglieder, die Fassaden, die Säulen, die Ornamente, und doch kommt das alles nur in zweiter Linie. Das Wirksamste ist nicht die Form, sondern die Umkehrung, der Raum, das Leere, das sich rhythmisch zwischen den Mauern ausbreitet, von ihnen begrenzt wird, aber dessen Lebendigkeit wichtiger ist als die Mauern. Wer den Raum empfinden kann, seine Richtungen und seine Maße, wem diese Bewegungen des Leeren Musik bedeuten, dem ist der Zugang zu einer beinahe unbekannten Welt erschlossen, zur Welt des Architekten und zur Welt des Malers.“

Endell, der in Berlin die „Formschule“ gegründet und bis 1914 geleitet hatte, ging 1918 als Nachfolger von Hans Poelzig als Direktor und Professor an die Breslauer Kunstakademie. Bauten entstanden nun nicht mehr. August Endell starb 1925 an den Folgen einer Kreislauferkrankung.

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