: Taumeln am Rand des Abgrunds
Für Borussia Mönchengladbachs Trainer Bernd Krauss stellt das heutige Spiel gegen den MSV Duisburg eine arbeitsplatzrelevante Prüfung dar ■ Von Holger Jenrich
Eigentlich, so mag es dem oberflächlichen Betrachter scheinen, geht in der Stadt am Niederrhein alles seinen gewohnten Gang. Die Mönchengladbacher beten ehrfürchtig wie eh und je, trinken ihr Alt wie eh und je, schwadronieren drauf los wie eh und je. Und doch liegt etwas in der Luft. Etwas anderes als Schneegewölk und der Duft von gebrannten Mandeln. Eine Katastrophe nämlich. Der heimische Fußballverein, Borussia geheißen, droht in der Zweitklassigkeit zu versinken. Wo er doch deutscher Meister werden sollte. Klägliche 15 Punkte aus 15 Spielen, dabei lächerliche zwölf Tore, kein einziger Treffer in acht Partien auf des Gegners Platz – die Mannschaft aus dem niederländischen Grenzbereich taumelt am Rande des Abgrunds.
Wie lange der Trainer noch mittaumelt, ist fraglich. Ausgerechnet die noch vor Wochen als „unbedeutend“ eingestufte Partie heute gegen den benachbarten MSV Duisburg ist für Bernd Krauss arbeitsplatzrelevant. Wenn seine Mannschaft auch im Duell mit dem Aufsteiger nicht das Tor trifft – dann dürfte der chronisch trainingsbeanzugte Übungsleiter sein Geld in Bälde aus dem Hause Jagoda statt aus dem Hause Borussia beziehen.
Trainerrausschmiß in Gladbach – schon über eine derartige Ungeheuerlichkeit nachzudenken wäre vor Jahren noch eine Todsünde gewesen. Elf Jahre Hennes Weisweiler, vier Jahre Udo Lattek, acht Jahre Jupp Heynckes: In Mönchengladbach konnten die Männer an der Seitenlinie ihre Arbeit stets langfristig und ohne Angst vor den Killergesetzen des Marktes ausüben. „Wir stehen zum Trainer – und wenn wir mit ihm absteigen“, hatte Expräsident Helmut Beyer noch 1989 getönt, als die Borussia erstmals in der Liga-Geschichte das Tabellenende zierte. Ein Satz, mit dem der Verein seine Unschuld und der Vereinsboß letztlich seine Reputation verlor – wenige Wochen später nämlich war Wolf Werner weg vom Fenster. Von einem Tag auf den anderen war der etwas andere Verein Borussia Mönchengladbach zu einem Fußballclub wie andere auch geworden. Präsidenten stürzten, Manager wechselten, Kapitäne meuterten, nach Werner flogen Gerd vom Bruch und Jürgen Gelsdorf – same procedure as everywhere.
Erst mit Bernd Krauss kam das Glück zurück. Zwar startete der einstige Borussen-Verteidiger und Teilzeit-Österreicher seine Trainerlaufbahn am Bökelberg mit einer 2:5-Heimschlappe gegen den 1. FC Saarbrücken. Doch danach ging es steil bergauf. Zwei UEFA- Cup-Qualifikationen, ein Pokalsieg, eine Torjägerkanone für Heiko Herrlich: Borussia war wieder wer. Und Krauss everybodys darling. „Be-hernd Kra-hauss“, jubilieren die Fans nun schon seit Jahren, wenn der angenehm uneitle Coach sich winkend zu seiner Trainerbank trollt. Der 39jährige ist ein Mann wie geschaffen für den Provinzclub zwischen Düsseldorf und Aachen. Er duzt einen Großteil seiner Spieler. Er trägt Reebok statt Boss – schließlich verdient er sein Geld als Sportlehrer und nicht als Dressman. Er gibt sich kumpelig und volksnah – das schwarzeneggereske Oben-ohne-Foto, das den aktuellen Titel der Gladbacher Fanzeitschrift 90 Minuten und mehr ziert, ist den Fans einige Jubelgesänge und der Sport-Bild etliche (vergebliche) Kaufangebote wert. Und schlagfertig ist Krauss obendrein. Selbst nach Niederlagen wie dem 0:5 in Stuttgart witzelt Krauss noch derart keß herum, daß man ihn in ein paar Jahren in den Zitatenschätzen der Republik unmittelbar hinter Karl Kraus wiederfinden wird.
Doch das Witzeln könnte dem Mann, der für die Borussia aus Mönchengladbach 167 Bundesligaspiele absolvierte und für die Borussia aus Dortmund ein einziges, bald vergehen. Die fatale Formschwäche seiner Jungs hat Bernd Krauss zur Zielscheibe der Kritik werden lassen. „Jetzt ist der Trainer gefordert!“ grantelt der sonnenstudiogebräunte Präsident Karl-Heinz Drygalsky. „Wir müssen im Taktikbereich besser trainieren“, mosert der ungewohnt vorlaute Abwehrchef Patrik Andersson. „So ein Trainingslager bringt doch nichts, da gehen wir uns nur gegenseitig auf die Nerven“, mault der nach seinem Millionen-Deal in die Mittelmäßigkeit entschwundene Kapitän Stefan Effenberg. Chefetage wie Kickergarde lenken wortgewaltig von der Tatsache ab, daß allein sie die Karre mit verfehlter Einkaufspolitik und verheerendem Ballgetrete in den Dreck gefahren haben. Zwei Jahre in Folge hat die Mannschaft einen Tabellenplatz belegt, der ihrem wahren Leistungsvermögen eigentlich nicht entsprach. Trotzdem wollte man törichterweise noch höher hinaus, sprach von Meisterschaft, gar von Champions League.
Bernd Krauss hat stets vor solch überzogenen Erwartungen gewarnt, dennoch droht er nun für deren Nichterfüllung bestraft zu werden. Offiziell stärkt die Gladbacher Vorstandsriege dem glücklosen Coach den Rücken, hinter vorgehaltener Hand wird jedoch über Entlassung getuschelt. Und hinter sehr, sehr vorgehaltener Hand will man bereits den Namen des Neuen kennen. Nicht Berger soll es sein, aber angeblich sitzt Borussias einstiger Mittelfeldstratege Uli Stielike bereits in den Startlöchern.
Daß die Clubführung den Trainer noch nicht achtkantig hinausgekegelt hat, hat nichts mit Menschenfreundlichkeit zu tun. Sondern mit Unsicherheit. Auf der einen Seite möchte der Verein gegenüber Geldgebern und Sponsoren Entschlußfreudigkeit und Handlungsfähigkeit demonstrieren – schließlich wollen lukrative Werbeverträge abgeschlossen und ein neues Stadion gebaut werden. Auf der anderen Seite wissen Präses Drygalsky, Vize Claßen, Manager Rüssmann ganz genau: Eigentlich ist Krauss für die Mannschaft der richtige! Eine Gladbacher Lokalzeitung hat ihre Leserinnen und Leser unlängst nach ihrer Meinung zur Borussen-Misere befragt: 95 Prozent der Anrufer hielten Bernd Krauss für schuldlos am Gladbacher Dilemma.
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