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Noch ist Ratko Mladić ein Held

Als Oberbefehlshaber der Armee ist der General abgesetzt. Doch viele bosnische Serben sehen in ihm noch immer den „Befreier“  ■ Aus Han Pijesak Erich Rathfelder

Schneewehen haben die Straße nach Han Pijesak fast unpassierbar gemacht. Kalt pfeift der Wind auf den Höhen östlich Sarajevos, wo die gerade eintausend Einwohner des langgezogenen Straßendorfes ein kärgliches Dasein führen. Hier oben in den Bergen haben schon immer Serben gewohnt, sie sind die Nachkommen orthodoxer Viehhirten, die sich schon im Mittelalter hier ansiedelten. Auch heute noch steht die Viehzucht an erster Stelle, der hier produzierte Joghurt ist in ganz Bosnien beliebt gewesen.

Ratko Mladić, der ehemalige Oberbefehlshaber der serbisch- bosnischen Armee, hat sich hier ein Haus gebaut. Vom Bunker in diesem Nest wurde der Krieg in Bosnien geführt. Betreten schauen die Gesichter aus, in Han Pijesak. Denn am Mittwoch hat der General dem Druck der Präsidentin der Republika Srpska, Biljana Plavšić, nachgegeben und seinen Rücktritt als Oberbefehlshaber der serbisch- bosnischen Armee erklärt. Auch im Hauptquartier der Armee, einem unscheinbaren Verwaltungsgebäude, ist die Stimmung getrübt. „Ratko Mladić ist Soldat und handelt gemäß seiner Pflicht“, sagt Slobodan Stancević, ein schlanker, feingliedriger Oberst, der als Professor an der Militärakademie gar nicht so recht zu den grobschlächtigen Gesichtern der Umgebung passen will. „Er ist ein professioneller Soldat. Weil er in Den Haag angeklagt ist, kann er seinen Aufgaben als Oberbefehlshaber in all seinen Aspekten nicht mehr nachkommen.“ Damit ist das wochenlange Tauziehen beendet. Der neue Oberbefehlshaber Pero Colić habe die völlige Befehlsgewalt über die Armee.

Nach wie vor ist der General bei der Bevölkerung in Han Pijesak beliebt. In dem Wirtshaus des Ortes streichen zwei der Besucher seine Verdienste heraus. Ihre wettergegerbten Gesichter und ihre rissigen Hände weisen sie als einheimische Bauern aus. „Ohne ihn wäre Han Pijesak von den Türken umzingelt.“ Der Bezirk Han Pijesak, in dem vor dem Kriege rund 6.000 Menschen lebten, ist von dichtbesiedelten muslimischen Mehrheitsgebieten umgeben, die zwischen der kargen Gebirgsregion und Serbien liegen: Zvornik, Sebrenica, Ragotica.

Man ahnt noch immer, wie Mladić Han Pijesak „befreit“ hat. Auf dem Weg in Richtung Zvornik zeugen die Ruinen der Häuser von dieser „Befreiungsaktion“. Hier, bei den kaum 15 Kilometer entfernten Orten Nova Kasaba und Cerska, liegen die Massengräber, die in den letzten Monaten von internationalen Organisationen untersucht worden sind. Hier in diesen Gebieten geschahen 1992 und wieder 1995 furchtbare Verbrechen an der Zivilbevölkerung.

Die muslimischen Gebiete der Umgebung sind fruchtbarer, noch ohne Schneedecke leuchten die Wiesen im matten Glanz der Wintersonne. Die muslimische Bevölkerung hat bis 1992 in den reicheren Gebieten Ostbosniens gelebt.

Es wird das „ewige Verdienst“ Mladićs bleiben, bei der Aufteilung Bosnien-Herzegowinas „reichere“ Gebiete gegen „arme“ Gebiete eingetauscht zu haben. So wurde das dünnbesiedelte und karge Gebiet Westbosniens verloren, dafür aber neben Ostbosnien das landwirtschaftlich ertragreiche Gebiet um den Posavina-Korridor gewonnen. „Wir akzeptieren Dayton“, sagt denn auch Oberst Slobodan Stancević, „aber wir werden niemals mehr mit Muslimen und Kroaten zusammenleben.“

An dieser Haltung hat der Rücktritt Ratko Mladićs nichts geändert. Weder für die Bevölkerung in Han Pijesak noch für die serbisch-bosnische Armee. „Die internationale Gemeinschaft will keinen muslimischen Kleinstaat, deshalb hält sie an einem Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina fest und sperrt Kroaten und uns Serben mit den Muslimen zusammen“, fügt der Oberst hinzu. Langfristig würden die Kroaten und die Serben die von ihnen kontrollierten Gebiete aber mit den Mutterländern vereinigen. Und weil Ratko Mladić den Krieg umsichtig und energisch geführt habe und nur durch das Eingreifen der Nato gestoppt werden konnte, werde er in der Geschichte der Serben Bosniens eine große Rolle spielen.

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