Geräusche auf dem Seziertisch

■ Spritzenhaus: eine brillante Abhandlung zum Thema „Ton, Klang, Geräusch“

Vorlesungen müssen nicht in überfüllten Hörsälen stattfinden. Sie müssen nicht aus Wortkaskaden bestehen und sie müssen schon gar nicht langweilig sein. Jan Kowalkowski und Marko Ciciliani jedenfalls haben mit Bosch Tapped The Gas Pedal And The Caprice Moved Forward im Rahmen des Festivals Fließende Grenzen im Ottenser Spritzenhaus eine brillante Abhandlung zum Thema „Ton, Klang, Geräusch“ vorgelegt.

Zu Beginn erfüllen einzelne, reine Töne den Raum. Sie werden zu Harmonien, Klängen zusammengeführt. So weit, so traditionell. Dann aber setzen Kowalkowski und Ciciliani ihr geballtes Equipment ein. Der Zerhacker zerlegt die Harmonien in einzelne Soundbites, und je unregelmäßiger und abrupter diese aufeinanderfolgen, desto weniger klingen sie: Sie rauschen nur noch. Einmal beim Geräusch angelangt, werden die Möglichkeiten zur Erzeugung von Geräuschen weiter ausgelotet.

Handelsübliche Instrumente sind als überflüssig verworfen. In quasi minimalistischer Manier werden nur noch Lautsprecher, Mikrophone, verschiedenes elektronisches Gerät und vor allem der Raum selber eingesetzt. Vor allem der beschallte Saal erweist sich als ein großartiges Instrument. An langen Kabeln von der Decke herabhängende Mikrophone werden in Schwingung versetzt und in das Spannungsfeld der gegeneinander verkeilten Lautsprecher geschickt. Dabei werden noch einmal die physikalischen Charakteristika des reinen Tones dargestellt: Frequenz und Amplitude. Wie bei einer Kernspintomographie schneidet das Mikrophon einzelne Geräuschschichten aus dem Lärmgewebe heraus und präpariert sie für den Seziertisch des Samplingcomputers. Von dort aus werden sie – verzögert – wieder in den Geräuschkörper hineintransplantiert, der so die Spuren seiner eigenen Autopsie wieder integriert.

Das an sich geschichtslose Geräusch wird mit seiner Vergangenheit dermaßen aufgeladen, daß es sich nur noch in wilde Rückkopplung flüchten kann. Diese Feedbackeffekte werden noch weiter kondensiert. Vor einem einzelnen Lautsprecher stehend erforscht Ciciliani die Aufnahmecharakteristika seines hochgerüsteten Mikrophons. Mit geschickter Aussteuerung und kleinen Handbewegungen kann das entstehende Kreischen gerade eben noch in Schach gehalten und – die Richtungsabhängigkeit der Mikrophonempfindlichkeit sich zunutze machend – sogar zu Harmonien zusammengefügt werden. Das Geräusch schlägt um und wird wieder Klang.

Und wo Theorie, Lärm und Bewegung so zusammenkommen, da gewinnen sogar Sezierungen an Schönheit. Matthias Anton