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■ Stabilitätskriterien beuteln Europas RegionenSpielball der Ökonomie

Bis zur Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) verbleiben gerade noch siebenhundert Tage. Die Einführung des Euro und der Übergang zum Primat der Zentralbank-Direktoren führen zu einem problematischen Quantensprung der europäischen Integration. Nicht mehr Wohlfahrt und Solidargemeinschaft, sondern Konvergenz und Stabilität bilden die Leitmotive. Zugunsten einer orthodoxen Wirtschaftslogik wird die Politik in den Hintergrund gedrängt. Der Austeritätskurs im Vorfeld und die neoliberale Ordnungspolitik nach dem Eintritt in die dritte Stufe verschärfen den Druck auf die Regionen.

Die rigiden Stabilitätsziele setzen der nationalen und europäischen Förderpolitik enge Grenzen. Transferzahlungen und Strukturmaßnahmen fallen zuerst dem Rotstift zum Opfer. Defizitäre Ausgabenposten wie Bildung, Gesundheit, Sozialwesen und Umwelt werden „dezentralisiert“. Je größer das Haushaltsloch der Zentralregierung, desto größer der Spardruck auf die Regionen. Unter dem Deckmantel der „Stabilität“ droht die Bevormundung der Länder und Provinzen durch die Finanzminister und Zentralbank-Direktoren. Zentralisierungsschub und Interventionsdrohung der WWU untergraben Föderalismus und regionale Autonomie. Vor allem werden die erhöhte Kapitalmobilität und der Wettbewerbsdruck zu einer Verschärfung der Standortkonkurrenz und der regionalen Egoismen führen.

Die WWU erfordert einen wirklichen Lastenausgleich und effektive Transferzahlungen zwischen dem armen und reichen Europa. Denn mit der einheitlichen Währung fällt das Krisenventil der Abwertung weg. Die europäischen Strukturfonds greifen zu kurz, wenn es darum geht, regionale makroökonomische Störungen zu beheben. Hoffnungslos ist die Situation auch für die Regionen jener Mitgliedstaaten, die nicht in der ersten Runde der WWU dabei sind. Aus eigener Kraft werden sie die Konvergenz kaum schaffen. Die anderen verweigern unter Hinweis auf die Stabilitätsziele die Solidarität. Ein Zwei-Klassen- Europa zeichnet sich ab. Hier die privilegierten Regionen, die Mitglied im Golf-Klub sind, da die Peripherie, die die kargen, verseuchten Äcker daneben bewirtschaften. Lastenausgleich und Regionalpolitik sind in der EU derzeit kein Thema.

Europas Provinzen und Peripherien benötigen faire Rahmenbedingungen. Um so dringender stellt sich die Frage nach der fehlenden sozialen und ökologischen Dimension der EU. Der Tatbeweis der Gemeinschaft ist erst noch zu erbringen. Die Lobby der Regionen ist gefordert, sich auf der Regierungskonferenz, in den WWU-Beratungen und in den kommenden harten Budgetverhandlungen der EU einzubringen. Schaffen die Regionen den solidarischen „Aufbruch nach Europa“ nicht, verkommen sie zum Spielball der Ökonomie. Stephan Kux

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