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Die dünne Haut der Zivilisation

■ Wunderkammer zwischen Wissenschaft und Horror: Wolfgang Stiller in der Galerie Cato Jans

Das Kunstverständnis der alten Griechen konnte sehr hart sein. Als der Satyr Marsyas es wagte, sich für einen besseren Musiker zu halten als den Musengott Apoll, endete der Wettstreit damit, daß der schöne Sieger als Vertreter olympischer Hochkultur dem freundlichen Naturwesen bei lebendigem Leib die Haut abziehen ließ.

Noch schlimmer als der junge Gott, hat Wolfgang Stiller Hunderten von Wesenheiten aller Größen forschend die Haut geraubt. Seine Installation „Laboratorium“ hat den ganzen Raum der Galerie Cato Jans in eine Wunderkammer zwischen Wissenschaft und Horror verwandelt. In eiserner Laboreinrichtung sind in Schubladen und Schränken, klein hinter Glas aufgespießt und als große Reihe an der Wand, alle möglichen Oberflächen präpariert und gesammelt.

Doch was diese Arbeit von geradezu Frankensteinschen Orgien unterscheidet, ist die strikte Materialreduktion. Nur drei Farbtöne bestimmen die Formenvielfalt: das Grau des Metalls, die Reflexionen des Glases und das Orangebraun des Latex. Ob in Reagenzgläsern, als frei herumliegende Formen aus Bottichen quellend oder wie vergessene Mäntel aufgehängt, alle scheinbar organischen Formen sind Abformungen aus diesem Naturgummi.

Der Wiesbadener Künstler, dessen nervöse Zeichnungen wie irgendwo zwischen Joseph Beuys und den Wiener Aktionisten beheimatet wirken, hat sich in anderen Installationen mit den Geheimnissen des alchymischen Wandels befaßt. In dieser Laboreinrichtung interessiert ihn nicht das heimliche Herz der Dinge, sondern ihre nie ganz gesehene Außenhaut. So lautet der Untertitel „Versuche zu einer grundsätzlichen Neubewertung der Oberfläche“. Dazu zitiert Wolfgang Stiller den französischen Autor Michel Tournier mit der sprachkritischen Verwunderung, daß „tief“ eine anerkannt positive Qualität ist, während es doch auch bedeutet „von bloß geringer Oberfläche“. Alle abgezogenen Objekte stammen aus unserer Alltagswelt, aber selbst wenn man das weiß, bleibt es schwierig, die Häute bekannten Dingen zuzuordnen, die Schneckenform auf ein Tier oder ein Getriebe zurückzuverfolgen. Manche Teile der Sammlung scheinen von einem anderen Planeten zu stammen und Hollywood scheint nicht fern – und was sich noch in den gänzlich verschlossenen Kästen befinden mag erhitzt die Phantasie. Doch so leicht sollte man sich vom Künstler nicht in die Fiktion entführen lassen, auch unser eigener Planet bietet genug der „schönen neuen Welt“. Das weiß Wolfgang Stiller spätestens, seit ihn ein Stipendium monatelang nach Tokyo führte. Und arbeitet nicht die Wissenschaft an Themen, die andere für bloße Wahnideen einer Zukunftsfiktion halten? Man denke nur an die Auswüchse der Gen-Technik.

“Oberflächlich“ und „Geschunden“, mit diesen Etiketten wird die gesamte Installation zu einem Metabild unserer Welt, zu einer diesseitigen und alltäglichen Hölle. Früher war es nicht die Wissenschaft, sondern die Religion, die die Höllenvisionen bestimmte. Es ist schon etwas her, daß sich ein anderer Künstler in einer abgezogenen Haut selbst darstellte – im „Jüngsten Gericht“ der Sixtinischen Kapelle zeigt die dem heiligen Bartholomäus als Attribut beigegebene geschundene Haut das Selbstporträt Michelangelos. Hajo Schiff DER RAUM, Galerie Cato Jans, Klosterwall 13, Di-Fr 12-18 Uhr, bis 19. Januar

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