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Der königsblaue Größenwahn läßt auf sich warten

■ Nachdem ausgerechnet Schalke 04 als einziger Bundesligaklub im Viertelfinale des UEFA-Cups steht, sinniert Olaf Thon über die Schnellebigkeit der Branche

Gelsenkirchen (taz) – Marc Wilmots hatte Champagner mitgebracht. Wagemutig und zuversichtlich. Nach der 1:2-Niederlage beim Club Brügge war für den FC Schalke 04 das Scheitern in gleicher Reichweite wie das Siegen. Und weil das Rückspiel wirklich 2:0 gewonnen wurde, steht Schalke seit 23 Jahren erstmals wieder im Viertelfinale des UEFA-Cups. 1996, sagte Olaf Thon in kurzzeitig sprudelnder Laune, sei Schalke „international die Überraschung schlechthin“. Man weiß, was dieser internationale Erfolg vor allem bedeutet: Millionen und Abermillionen sind aufs Konto geflossen und fließen weiter. Viel Geld plus die überlieferte Erinnerung, daß Schalke ein Verein mit Tradition ist, ergibt die Vision von etwas, das Schalke 2000 heißen könnte. Thon nennt es „an Bayern und Dortmund ranschnuppern“.

So gesehen war der Abend wie geschaffen für überschäumende Freude, für trunkenen Jubel und haltloses Phantasieren – lauter Gefühlsregungen, die dem Schalker als solchem eigen sind, weil er immer noch sehr an seinem königsblauen „Wir sind etwas Besonderes“-Mythos hängt. Auch überheblicher Spott hätte nicht fehlen dürfen. Schalke hatte als schwächster Ligavertreter im UEFA-Cup gegolten – und ist nun von fünfen der einzig verbliebene.

Gerade aber als in der Kabine die Korken knallten, hauchte die Spieler eine Erinnerung an. Wißt Ihr noch vor zwei Monaten? Wie wir angefeindet wurden? Damals wurde ein Trainer gefeuert, der Jörg Berger hieß und längst ein namenloses Tabu geworden ist. Die Vorgeschichte war ein nichtöffentlicher Vorgang, öffentlich wurden die Spieler zu Verrätern und Betreibern des Rauswurfs erklärt. Und dann spielten sie sich auch noch in die Abstiegsregion. Und am Dienstag saßen sie da, und dachten ausgerechnet in diesem Moment, der für Albernheiten reserviert ist, an die traurige Schnellebigkeit in ihrer Branche. Über die Haltlosigkeit von Jubelarien und Verrissen, nun mal in umgekehrter Reihenfolge. „So schnell geht das“, sinnierte Yves Eigenrauch. Betroffen. Das „Auf und Ab im Fußballgeschäft“ bemerkte Olaf Thon. Gefaßt.

Deshalb mögen sie auch gerade keine griffigen Erklärungen zum Formhoch abgeben. „Wir haben jetzt einen Lauf“, sagte Torwart Jens Lehmann. „Auf einmal läuft's“, variierte Youri Mulder.

Daß sie gerade das Spiel gewonnen hatten, lag vor allem daran, daß Brügge sehr ersatzgeschwächt spielte. Lehmann mußte sich besonders anstrengen, aufmerksam zu bleiben, weil die Belgier es nie wirklich bis zu seinem Tor schafften. Was wiederum daran lag, daß die Schalker im Mittelfeld überlegen waren und spätestens in Strafraumnähe aller Fans Liebling „Yyyves“ Eigenrauch die Bälle wegputzte. Youri Mulder hatte auf dem regendurchweichten Boden als schwerer Spieler einen schweren Stand und köpfte doch das 2:0 in der letzten Minute. Es war der Moment, der Spieler und Zuschauer erlöste. Letztere aus fast lethargischem Bangen. Die Anfeuerungen waren selten konstant und euphorisch gewesen, sondern eruptiv und sekundenlang.

Das Parkstadion war nicht ausverkauft. 19 Jahre hatte Schalke nicht mehr in einem internationalen Wettbewerb gespielt – und nun gibt es in der dritten Runde schon keinen Ansturm mehr auf die Karten. „Überraschend“, sagte Eigenrauch, sehr irritierend. Das „schlechte Wetter“ und die „Arbeitslosigkeit hier“ dozierten Thon und Lehmann. So als stellten sich Wetter und Wirtschaft in Dortmund gänzlich anders dar.

Womöglich haben die Schalker so lange mit der reinen Abstraktion des Erfolges gelebt, daß die Wirklichkeit mit so banalen Beiklängen wie beleidigten Fans schwer zu ertragen ist. Außer man wird doch ein bißchen albern. Im Viertelfinale möchte Thon nun gegen Inter Mailand spielen, die hat er schon mit Bayern besiegt; Lehmann bevorzugt Valencia, dann „können wir die Bayern rächen“. Trainer Stevens möchte ein „Finale gegen Monaco“. Schade fast, daß selbst Schalker sowas nur noch sagen, weil sie ja etwas sagen müssen, das aber möglichst nichtssagend. Früher hätten sie den Größenwahn ernst gemeint. Katrin Weber-Klüver

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