Die RAF ist tot – es lebe die RAF

Die neue Erklärung der Rote Armee Fraktion fällt weit hinter die Diskussionen ihrer früheren Mitglieder zurück. Deren Forderung nach Auflösung wollen die Aktivisten nicht nachkommen  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) – Die gute Nachricht zuerst: Die Rote Armee Fraktion (RAF) hat in ihrer gestrigen Erklärung in keiner Weise angedeutet, zum bewaffneten Kampf zurückkehren zu wollen. Die schlechte: Die RAF ist nicht gewillt, sich aufzulösen.

Aktueller Anlaß des neuen Schreibens ist die Rückkehr von Christoph Seidler, den die Behörden seit Jahren als angebliches Mitglied der RAF und mutmaßlichen Mittäter bei dem Sprengstoffanschlag der RAF auf den Bankier Alfred Herrhausen Ende November 1989 gesucht haben. Auch die RAF bestätigt die Angaben Seidlers, zu keiner Zeit zu ihren Aktivisten im Untergrund gestoßen zu sein: „Aus der RAF konnte er nicht aussteigen, weil er dort nie war.“

Seidler, der 1984 aus dem Sympathisantenumfeld der RAF in die Illegalität abgetaucht war, kommt in dem Schreiben dennoch schlecht weg. Ihm wird vorgeworfen, er habe durch sein Mitwirken im Aussteigerprogramm des Kölner Verfassungsschutzes „Informationen über sein Exil preisgegeben und deutsche Geheimdienste dorthin geschickt, wo er solidarisch aufgenommen wurde“. Seidler war auf Betreiben der RAF im Libanon bei der palästinensischen Gruppe PFLP untergekommen. Das neue RAF-Schreiben fällt hinter die Diskussionen unter ehemaligen RAF-Mitgliedern in den letzten Jahren weit zurück. Zuletzt hat das frühere RAF-Mitglied Birgit Hogefeld Ende November in einem bemerkenswerten Schlußwort vor dem Frankfurter Oberlandesgericht die Kampfgefährten in der Illegalität aufgefordert, „ihre Auflösung als RAF zu erklären“. Sie sagte: „Dieser Schritt ist lange überfällig.“ Die gleiche Forderung hatte ein halbes Jahr zuvor bereits Helmut Pohl, der Sprecher der RAF-Gefangenen im letzten Hungerstreik, aufgestellt. Dies, erklärte Pohl in einem konkret-Interview im Juni, sei der ausdrückliche Wunsch auch anderer RAF-Gefangener.

Kein Wort findet sich in der neuen Erklärung zu der Auflösungsforderung. Die Absage erschließt sich indirekt aus der Aussage: „Die Auseinandersetzung um die Geschichte der Linken macht für uns nur einen Sinn, wenn sie zur Neubestimmung revolutionärer Politik und Neuformierung einer radikalen Linken beiträgt.“ Nur von da aus werde es möglich sein, „systemüberwindende Visionen in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu tragen“.

Hogefeld, die sich selbst als RAF-Mitglied bezeichnet hat und zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, stellte auch selbstkritisch die Frage: „Wie konnte es dazu kommen, daß Menschen, die aufgestanden waren, um für eine gerechte und menschliche Welt zu kämpfen, sich so weit von ihren ursprünglichen Idealen entfernten?“ Die RAF sagt in ihrer Erklärung dazu nichts.

Aufgegeben wurde das fünfseitige Schreiben am 3. Dezember in Karlsruhe. Datiert ist es auf den 29. November und trägt, wie schon frühere Schreiben, das RAF-Symbol, eine Maschinenpistole unterlegt mit einem fünfzackigen Stern. Der Brief mit dem fiktiven Absender K. Möller aus Karlsruhe traf am gestrigen Mittwoch per Post bei der taz ein. Die Nachrichtenagentur AFP berichtet, sie hätte das gleiche Schreiben erhalten. Die Bundesanwaltschaft erklärte gestern, sie prüfe zur Zeit die Authentizität des Briefes.