■ Serbien: Miloševićs Schwäche resultiert nicht nur aus politischen Fehlern – sondern auch aus Lust am Spiel
: Die Verschwendung der Macht

Seit den Kommunalwahlen in Serbien schwindet Miloševićs Herrschaft. Sie hat nicht nur an Umfang, sondern auch an Intensität eingebüßt. Die Niederlage bei den Kommunalwahlen wog für den serbischen Präsidenten um so schwerer, als seine Herrschaft nicht nur punktuell geschwächt war, sondern ihre allgemeine Schwäche in sozusagen spektakulärer Weise aufgedeckt wurde – und zwar gerade in einem Moment, da die Herrschaft stärker und fester denn je schien.

Denn Miloševićs politische Macht schien, gemessen an der Zahl und Wichtigkeit sogenannter von ihm kontrollierter Hebel der Macht wie Militär, Polizei, Medien, Wirtschaft und internationaler Rückhalt, in den letzten Jahren kontinuierlich zu wachsen. Und doch, auf anderen Kanälen ist diese Macht schlagartig zerronnen, so daß es jetzt aussieht, als könnte sie nicht einmal mehr die existentiellen Grundbedürfnisse befriedigen (zumindest nicht mehr mit legalen Mitteln). Deshalb scheint sein politisches Kapital von einem nicht auszugleichenden Defizit belastet zu sein. Sein Regime gleicht immer mehr einem heruntergekommenen herrschaftlichen Haus, in dem man noch im Luxus schwelgt, im großen Stil Empfänge gibt und eine Dienerschaft und einen repräsentativen Fuhrpark hält, während die Schulden schwindelerregend steigen und die Gläubiger vor der Tür stehen.

Was ist los mit Miloševićs Herrschaft? Wo sind die Geschicklichkeit und die Berechnung geblieben, die sogar von seinen heftigsten Gegnern anerkannt wurden? Ist es denn die Möglichkeit, daß er, von dem man geglaubt hatte, er könne im politischen Schachspiel zehn Züge im voraus berechnen, bei den Kommunalwahlen in Serbien den Verlust einiger wichtiger Figuren übersah? Ist er etwa überrascht? In den Berichten über die Wahlen wurde die Einschätzung wiederholt, die Regierung sei durch den Verlust der Großstädte „erstarrt“, die Sozialisten seien „schockiert“ und „überrumpelt“ worden, so daß die erste Garnitur Zeichen „wahrer Hysterie zeigt“.

In diesen Kommentaren wurden Miloševićs politische Fehler analysiert. Doch seine Schwäche wirft auch die Frage auf, inwieweit sie die Folge einer Verschwendung des naturgemäß unproduktiven politischen Vermögens, seiner schlichten Vergeudung beziehungsweise des Auskostens der Macht selbst ist.

Die politische Ökonomie weiß, daß ein guter Teil dieses Kapitals nicht in die Reproduktion geht, sondern schlicht und unwiederbringlich konsumiert wird, nur um des Konsums willen. Man strebt nach Macht, weil man sie auskosten kann. Und der Eros der Macht, ihr Genuß, wie man gemeinhin sagt, liegt weniger in der Anhäufung von Macht als vielmehr in ihrem dünkelhaften, souveränen und exhibitionistischen Gebrauch. Das hat einige bedeutende Soziologen (z.B. Max Weber) dazu veranlaßt, eine Unterscheidung zwischen Macht und Prestige vorzunehmen: Der Wunsch nach Prestige wird oft durch den verschwenderischen Gebrauch von Macht verwirklicht.

Hat man solch einen genießerischen, verschwenderischen „Gebrauch“ politischer Macht im Auge, reicht es nicht, wenn man bei der Einschätzung der Situation, in der sich das Regime in Serbien nach den Kommunalwahlen befindet, nur die falschen, unintelligenten Schachzüge dieses Regimes, seine Berechnungsfehler aufzählt. Man muß vielmehr auch all das berücksichtigen, wofür der Chef dieses Regimes in letzter Zeit, sozusagen bewußt blindlings, in lasterhaftem Genuß, sein ansonsten fleißig und mühsam erworbenes und bis dato zusammengehaltenes politisches Vermögen ausgegeben hat.

Er hat es vor allem an seine Frau verschwendet. Ich hoffe, es stört den Leser nicht, wenn ich das so direkt und grob ausspreche. In Wirklichkeit wiederhole ich lediglich die weitverbreitete Ansicht, daß die politisch-literarische Aktivität der Mira Marković dem Regime ihres Mannes großen Schaden zufügt, daß die donnernde Propaganda der JUL (Jugoslawische Vereinigte Linke) in den Medien des Regimes, ihre Pionierveranstaltungen, Parteiseminare und „linken“ und „progressiven“ Ideen, auch viele der überzeugtesten Anhänger von der Regierung entwöhnt hat. Dies bestätigen auch die mehr als bescheidenen Ergebnisse der JUL bei den Kommunalwahlen.

Meine Deutung der Rolle von Mira Marković und ihrer in der Ökonomie von Miloševićs Regierung parasitären Partei unterscheidet sich von bisher geäußerten Ansichten. Denn ich denke, daß wir Milošević sehr unterschätzen, wenn wir glauben, er sei wirklich davon überzeugt, daß ihm bei der Festigung seiner Herrschaft seine bessere Hälfte mit ihrer Unterpartei behilflich sein könnte. Es gibt keinen Zweifel, daß er in dieser Hinsicht keinerlei Illusionen hegt. Und dennoch.

Milošević läßt alles laufen, wie es läuft. Warum? Ich denke, er tut es aus reiner Genußsucht. Und reinen Genuß, sagen die Leidenschaftlichen, ohne hohe Kosten gibt es nicht. Daher sind die Augenblicke der Schwelgerei auch gleichzeitig die Augenblicke größter Schwäche; je höher die Kosten, desto süßer der Schauder, desto verlockender der schwindelerregende Genuß. Ließe sich die Macht nicht rücksichtslos und auf äußerst riskante Weise auskosten, hätte sie keinen so hohen Preis, sondern verwandelte sich in eine langweilige und leidenschaftslose Verwaltungsangelegenheit. Miloševićs Beispiel bestätigt das, weil es der serbische Präsident offensichtlich auskostet, wenn er seiner Frau dabei zusieht, wie sie das politische Vermögen verschwendet. Am Anfang sah es so aus, als würde er es für den Krieg verprassen. Doch ist er damit nicht bis zum Letzten gegangen. Wird er sich auch jetzt bremsen können, bevor es zu spät ist? Aber auch wenn es zu spät ist, bestehen gute Aussichten, daß das Theaterstück über den fleißigen Erwerb und das verrückte Auskosten von Macht auf der serbischen politischen Bühne das gleiche bleibt, bloß mit anderen Protagonisten. Denn nach allem zu urteilen, genießt es auch Miloševićs Hauptopponent Vuk Drašković, wenn er dabei zusieht, wie seine Frau* all das, was er und seine politischen Freunde irgendwie verdienen und ansparen, für nichts und wieder nichts und auf einen Schlag verschleudert. Ivan Čolović

* Danicva Drašković hatte erklärt, dem Terrorismus der Macht müsse man mit Terrorismus begegnen, sie sprach auch von Bomben. Vuk Drašković hat sich indes von dieser Äußerung distanziert.A.d.Ü.

Aus dem Serbokroatischen von Katharina Wolf-Grießhaber