: Kunst mal Kunst macht Kunst im Quadrat
■ Das Haus am Kleistpark läßt seine bisherigen Ausstellungen Revue passieren
Quadratisch, praktisch, weil sofort: das Polaroid. Wahrscheinlich mögen wir Bilder noch lieber als Schokolade. Denn Polaroid ist sicher das erfolgreichere Produkt gegenüber der Schokolade, deren Werbeaussage, ein wenig modifiziert, so gut zu ihm paßt.
Wie Peter Funken im Katalog zur Ausstellung „Quadratur I“ schreibt, ist die Polaroidkamera „ein Ding aus der Welt des Pop“. Sie ist ein Gadget, das dem Anspruch der Gesellschaft der sechziger und siebziger Jahre nach Unabhängigkeit nicht nur im sozialen, sondern auch im technisch-konsumistischen Bereich entgegenkam.
Heute wird in der Ausstellung des Kunstamtes Schöneberg mit dem Polaroid – einer Form der Expreßaneignung der Wirklichkeit – erneut Unabhängigkeit demonstriert. Nicht unbedingt freiwillig: Eher notgedrungen dient das unaufwendige Medium dazu, eine Bestandaufnahme der bezirklichen Kunstarbeit zu leisten. Alle Künstler, die im Haus am Kleistpark bislang ausgestellt haben, wurden von der Kunstamtsleiterin Katharina Kaiser und ihrem Ko- Kurator Peter Funken eingeladen, ihre Positionen noch einmal im Sofortbildformat darzustellen. Die erste Lieferung (eine zweite folgt im Frühjahr 97) stößt in die Geldlücke, die neue Vorhaben unmöglich macht und die Ausstellungsräume im Haus am Kleistpark leer beließe. Da man Leeres weniger gut sieht als Halbgefülltes, kann „Quadratur“ zeigen, was dem Bezirk fehlen wird, wenn der Sparhaushalt des Senats greift.
Kurt Buchwald und das von ihm gegründete Amt für Wahrnehmungsstörung haben die Leere übrigens mit Hilfe des Dieckmannschen Trichters, eines fotografischen Meßverfahrens, schon in der Maßeinheit Le/cm2 vermessen. Neun Polaroid-Meßprotokolle belegen, daß es in Berlin schon viel Leere gibt, die sich noch steigern wird, wenn seine bauliche Erneuerung beendet ist. Wie Buchwald knüpft auch Silvia Breitwieser gewitzt an ihre vorangegangenen Arbeiten an. Sie hat ein Polaroid umgedreht direkt an die Wand gehängt. Gedoppelt, gekontert und vervielfäligt sieht es der Betrachter nur, wenn er durch die bunten Prismen schaut, die an Perlonschnüren von der Decke hängen. Mit ihnen läßt sich auch der Blick auf Dirk Sommers und Gerhard Haugs Polaroidtafeln zentrieren oder streuen. So exakt Sommers Bilder die Fischzucht und das Schweineschlachten dokumentieren, so flimmernd dreht sich der Bildgegenstand in Haugs Fotoquadraten ins Licht und Ungefähre.
Überhaupt besticht die Ausstellung durch die Leichtigkeit und Raffinesse der kleinen Form. Ob es sich um Birgit Klebers Polaroidversionen ihrer Frauenporträts handelt oder um Raffael Rheinsbergs Sofortbildarchiv all der von ihm gesammelten Gegenstände, ob es um Susanne Ahners „Blinde Flecken“ im Ausstellungsraum geht oder um die übermalten Polaroids von Wolfgang Rüppel: Ein Lückenbüßer ist die Ausstellung dank der Qualität der Arbeiten nicht. Eher eine wundersame Quadratur des Kreises. Brigitte Werneburg
Bis 22.12., Di.–So. 12–18 Uhr (Mi. bis 20 Uhr), Grunewaldstraße 6/7
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