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Frühstück mit Schweinchen Dick

Zwischen 3-D-Kino und High-Tech-Karussell: „Warner Bros. Movie World“ in Bottrop ist ein Freizeitpark der amerikanischen Art. Auf der „Lethal Weapon Achterbahn“ vergnügt sich mit einem Haufen Kids:  ■ Karl Wegmann

„Wie nimmt man eine Brücke am besten?“ fragt General James Gavin seinen Major Julian Cook. Der antwortet militärisch knapp: „Am besten von beiden Seiten gleichzeitig, Sir!“ So einfach machen es sich Ryan O'Neal und Robert Redford in dem Warner-Brothers-Film „Die Brücke von Arnheim“.

Wie aber nimmt man einen amerikanischen Vergnügungspark der Warner-Brüder am besten? Genau wie Redford seine Brücke! Wobei die eine Seite die der Erwachsenen, die andere die der Kinder ist. Kinder braucht man unbedingt, wenn man der amerikanischen „Freizeitkultur“ etwas voreingenommen gegenübersteht.

Meine Planung war einfach: In Ermangelung eigenen Nachwuchses spielte ich kurz mit dem Gedanken, mir für den Besuch in „Warner Bros. Movie World – Europas einzigartigen Movie- und Entertainmentparks“ ein paar Kinder auszuleihen. Um die andere Seite, den unschuldigen, unvoreingenommen Blick aufs US- Amüsement, einzufangen.

„Billig wird das nicht“, ahnte ich schon, und dann kam mir der Zufall zu Hilfe. Ein Freund erzählte, daß in einem Nachbarstädtchen verschiedene Jugendeinrichtungen gerade eine Bustour nach Bottrop zusammenstellen. „Fünfzig Kinder im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren.“ Perfekt!

Sonntag morgen, sieben Uhr. Nach und nach trudeln die Kids ein, mit einer halben Stunde Verspätung geht's los. Spielkarten, Cola-Dosen und Musikkassetten werden aus- und die Zigaretten gleich wieder eingepackt, denn Betreuerin Birgit hat rauchen im Bus verboten. Zwei Jungs haben Bier dabei und knacken die ersten Dosen. Aus den Lautsprechern dröhnt eine miese Aufnahme der „Fanta4“, Teeniepostillen fliegen die Gänge rauf und runter.

Ein 10jähriger fragt eine 12jährige: „Darf ich mal deine Titten anfassen?“ Und bekommt als Antwort: „Verpiß dich, du Wichser!“ Woraufhin der Bonsai-Sexist mit einem „Du hast doch sowieso noch nie gefickt“ wieder abzieht. Ich frage mich, ob ein Besuch auf der Reeperbahn für diese Bande nicht angemessener wäre.

Kurz vor neun verläßt der Bus bei Bottrop-Kirchhellen die Autobahn. Große Wiesen kommen in Sicht – fast alle sind als Parkplätze für „Warner Bros. Movie World GmbH & Co. KG“ reserviert. Immer mehr Reisebusse aus ganz Deutschland, Holland und Belgien treffen ein.

Die Kurzen haben nur eine Sorge: „Dürfen wir allein laufen?“ Birgit verteilt die Eintrittskarten und sagt: „Ja. Aber um zwölf Uhr mittags treffen wir uns alle wieder hier an dem großen Brunnen. Das letzte Treffen ist genau um drei Uhr nachmittags, das sind dann sechs Stunden gewesen, das dürfte ja wohl reichen.“ Und weg sind sie.

Ich überlege noch, welcher Gruppe ich mich anschließen soll, da sind schon alle im Gewühl der „Main Street“ verschwunden. Mist! Na dann eben mit den Betreuern – aber auch die sind nicht mehr da. Okay, okay, dumm gelaufen. Warten wir eben das erste Treffen ab, um den „unschuldigen Blick“ abzufragen.

Hollywood im deutschen Herbst 1996. Naßkalt. Was soll's, jetzt wird sich amüsiert. Gleich am Anfang der „Main Street“ liegt die „Warner Bros. Studio Cafeteria“ wo's „ein Frühstück mit den Stars“ geben soll. Stars? Es sind ein paar Hilfskräfte in Daffy-Duck-, Schweinchen-Dick- und Bugs- Bunny-Kostümen, die um die Tische herumwuseln.

Nebenan im „Roxy Theatre“, einem 3-D-Kino, beginnt gerade eine Vorstellung. Ist zwar nur ein fünfzehnminütiger Zeichentrickfilm mit dem Marsmenschen Marvin, erntet aber jede Menge „Ahhs“ und „Ohhs“ aus dem Publikum. Zurück auf die „Main Street“. Erst mal ein paar Geschäfte und Boutiquen abklappern. Überall der gleiche Merchandising-Kram, ein Tweety- Strampelanzug für 39,90 Mark, haufenweise bedruckte T-Shirts. Oder wie wär's mit einem „Riesen- Batman (30 cm)“ für schlappe 69,90 Mark?

Erst mal ein kleiner Imbiß. „Rick's Café Americain“ wollte man sich eh anschauen. Bogarts berühmter Schuppen aus „Casablanca“ sieht von außen ziemlich originalgetreu aus, innen gleicht er allerdings einer stinknormalen Pizzeria. Da kann man ja gleich zu Hause essen. Wenn schon Ami- Park, dann auch Ami-Fraß! Also ab ins „Gotham City Snacks“ und Hamburger geordert. Die kann man dann mit auf die „Gotham City Plaza“ nehmen von wo aus man einen ausgezeichneten Blick auf die „Gotham City Hall“ hat.

Dort beginnt um elf das „Batman Fotoshooting“. Es ist elf Uhr – kein Fledermausschwanz zu sehen. Leichter Nieselregen. Um elf Uhr zehn erscheint ein Animateur und schreit gleich los: „Wie heißt der beste Freund von Batman?“ Ein Steppke antwortet. „Richtig“, brüllt der Anheizer, „Robin! Und hier ist er. Los, Applaus für Robin!“ Weitere Suggestivfragen werden ins spärliche Publikum geschleudert, schließlich treten Catwoman und ein gelangweilt guckender Batman auf. Sie posieren alle ein bißchen herum und dann darf man sich mit der ganzen Bagage fotografieren lassen. „Für 9,90 Mark könnt ihr die Abzüge in einem Schmuckrahmen abholen. In neunzig Minuten.“

Mittlerweile ist es fast halb zwölf. Mir wird schlagartig klar, daß der Termin mit den Kids kurz bevorsteht, ich aber von den siebenundzwanzig Attraktionen und Shows auf diesem vierzig Hektar großen Gelände noch kaum etwas gesehen habe. Also ran an die Arbeit.

Vor dem „großen Batman- Abenteuer“ warten ungefähr 500 Leute. Der computergesteuerte Flugsimulator hat aber nur 20 Plätze. Schlangen auch vor der „Lethal Weapon Achterbahn“, der „Police Academy Stunt Show“ und der „Gremlins Invasion“. Nur das „Bermuda-Dreieck“ sieht gut aus. Kaum Leute. Dafür eine Warnung: „Wir möchten sie darauf hinweisen, daß sie in diesem Fahrgeschäft naß werden!!!“ Bei diesem Sauwetter? Nein danke!

Bei der „Diebels presents: Movie Studio Tour“ lassen sie gerade die Meute rein. Doch kurz bevor ich durchschlüpfe, geht die Schranke wieder runter. Egal, jetzt wird gewartet. Nach fünfundreißig Minuten – das Zwölf-Uhr-Treffen ist längst Geschichte – darf man rein in die Trickkiste der Hollywoodschinken. Einigermaßen unterhaltsam wird das Blue- Screen-Verfahren erklärt, die Special Effects von „Das Boot“, und ein Tonstudio ist auch da.

Zurück ins trübe Tageslicht. Der Park ist inzwischen gerammelt voll. Tausende, die sich amüsieren wollen. Jetzt machen sich die 120 Festangestellten des Parks und die 1.600 Saisonkräfte voll bezahlt. Denn bei den verschiedenen High-Tech-Karussells steht das vergnügungssüchtige Publikum zwar eine Stunde und länger, bis es abgefertigt wird – nicht aber in den Kneipen, Eisdielen und Imbißstuben.

Kaum bildet sich vor den Tresen eine Menschentraube, tauchen wie aus dem Nichts zwei, drei BedienerInnen zusätzlich auf. Konsumieren wird so bequem und leicht wie möglich gemacht. Wer hier kein Geld ausgibt, der hat keins. Die knapp 400 Millionen Mark Investitionskosten dürften sich in Null Komma nix amortisiert haben.

Fünfzehn Uhr. Die BetreuerInnen sehen schon etwas derangiert aus, die Kids aber sind topfit und maulen rum. Einige von ihnen sind klitschnaß. Aha, kombiniere ich, „zuviel Bermuda-Dreieck“.

„Ihr wollt doch nicht etwa noch bleiben?“ fragt Birgit. „Doch!“ kreischt die Horde Terrorkröten, und ein Kurzer bemerkt schlau: „Ihr habt gesagt ,ein Tag Movie World‘. Sechs Stunden sind aber kein Tag!“ Da hat er recht, denke ich und habe ein schlechtes Gewissen, weil ich auch noch nicht alles gesehen, aber längst die Schnauze voll habe von so viel Vergnügen. Birgit verpaßt uns noch zwei Stunden. Und zack sind sie wieder verschwunden.

Was muß unbedingt noch abgehakt werden? Vielleicht sollte man sich mal die ganzen Serviceeinrichtungen anschauen. Den Baby- Wickelraum, das Hundehaus, den Kinderwagenverleih. Dagegen sprechen die qualmenden Füße, sechs Stunden ständige Berieselung mit Filmmusiken, sechs Stunden Reizüberflutung. Da hilft nur „Dirty Harry's Bar“. Die entpuppt sich als reizlose Eckkneipe mit Fernseher, über den Ausschnitte aus den „Harry“-Filme flackern.

Nebenan wird einer der berühmtesten Macho-Sprüche der Filmgeschichte für eine Fast-food- Bude mißbraucht: „Make my day – Nachos“ (acht Mark fünfzig). Weiß Clint Eastwood das?

Pünktlich zur „Großen Parade“ auf der „Main Street“ fängt es an zu regnen. Dadurch geht das ganze Paradieren recht flott über die Bühne, das Batmobil bekommt man immerhin noch mit. Cut, das war's. Movie World im Kasten.

Siebzehn Uhr dreißig. Die Jugendlichen trudeln nach und nach am Sammelpunkt ein. Die, die schon da sind, hauen sofort wieder ab, als sie sehen, daß noch welche fehlen. Ich koche, die BetreuerInnen bleiben sehr, sehr professionell. Um achtzehn Uhr sind bis auf zwei dieser Monster alle da, und Birgit befiehlt: „Ab in den Bus!“ Eine steigt wieder aus. Kurz darauf ein Schrei: „Guck mal, da draußen ist Ali und raucht!“ Alle rennen raus. Es dauert noch bis neunzehn Uhr, dann geht's endlich zurück.

Und was ist mit dem „unschuldigen Blick“? Nix. Die Kids haben die ganze Zeit mit Schlangestehen verbracht. Alle Angebote mit pädagogischem Nährwert – Filmmuseum, Studio-Tour, 3-D-Kino – haben sie nicht interessiert. Sie prahlen, wie oft sie mit welchem Irrsinnsgerät gefahren sind: „Ich war dreimal im ,Batman-Abenteuer‘, viermal in der ,Unendlichen Geschichte‘, viermal in ,Lethal Weapon Pursuit‘ und fünfmal im ,Bermuda-Dreieck‘“, erzählt ein Mädchen. „Mehr nicht?“ kommt sofort die höhnische Rückfrage. Das ganze endet in einer wüsten Karate-Keilerei. Einsatz Birgit!

Wenn Sie keine pädagogische Ausbildung genossen haben und wenn Sie nicht Nerven wie Drahtseile besitzen, versuchen Sie nie, nie, nie, einen amerikanischen „Vergnügungspark“ – Robert Redfords Brücke hin oder her – von zwei Seiten gleichzeitig zu nehmen.

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