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Schade um die schönen Pyjamas Von Ralf Sotscheck

Ich hatte gelogen. „Freunde aus Berlin haben eine Videokassette von einem rattengeilen Weihnachtskonzert einer irischen Band geschickt“, hatte ich behauptet. Tochter Ciara und drei ihrer Klassenkameradinnen, alle um die 15 Jahre alt, zeigten vorsichtiges Interesse, obwohl sie meinen Musikgeschmack sonst eher unter geriatrischen Gesichtspunkten tolerieren. Diesmal war ich jedoch zuweit gegangen: Meine Tochter distanzierte sich öffentlich von mir, als das Video anlief.

Es waren nämlich gewiß keine Freunde, die die Kassette geschickt hatten, und es war auch keine irische Band, die auftrat – sondern die Kelly Family, jene musikalisch-terroristische Großfamilie aus den USA, die sich gern als Iren verkleidet. Die Shamrock- Transvestiten haben ihr Kölner Hausboot vor ein paar Wochen verkauft und sich für sechs Millionen Mark einen Landsitz bei Cobh im Süden Irlands zugelegt. „Endlich sind wir wieder zu Hause“, freute sich Kathy mit breitem Ami- Akzent, „hundert Jahre nachdem unser Urgroßvater mit einer Geige unter dem Arm ausgewandert ist.“ Ach, wäre es doch nur ein Satz Golfschläger gewesen, dann würden seine Nachfahren jetzt vielleicht geräuschloser über die Grüne Insel herfallen.

Statt dessen singen die gemeinen Geschwister aber. Schon beim ersten Lied hüpfte Jimmy Kelly auf der Bühne herum, als habe er den Rinderwahnsinn. „Du meine Güte, er zittert wie mein Wellensittich, bevor er tot von der Stange fiel“, sorgte sich Maeve. „Der Songtext beweist aber, daß dein Sittich mehr Grips hatte“, entgegnete Aoilean. „Warum tragen die eigentlich alle Pyjamas auf der Bühne?“ fragte Ciara. „Die dicke Maite sieht darin wie eine Wurst aus.“ Eine Gummiwurst – der irische Tanz, den sie aufs Parkett legte, ging voll daneben. Maite hüpfte ständig von einem Bein aufs andere, was sie wahrscheinlich vor einem Kneipenklo nach der Sperrstunde beobachtet und irrtümlich für einen Volkstanz gehalten hatte. „Herrje, wie peinlich, daß sie sich ausgerechnet als Iren ausgeben“, sagte Julie. „Ich glaube, ich muß kotzen.“

Im nächsten Moment wurde mir schlecht: Joe Cocker, bis dahin einer meiner Lieblingssänger, trat gemeinsam mit den Kellys auf. Wie tief muß der Mann in Geldnot stecken. Paddy Kelly machte dazu ein Gesicht, als habe er vergessen, seine Abführtabletten zu nehmen, und seine Schwester „quietscht wie meine Margaret-Thatcher-Gummipuppe, wenn mein Hund hineinbeißt“, stellte Maeve fest. Angelo sang „I can't help myself“, und man glaubte ihm das aufs Wort. Der nächste Song faßte die Stimmung in unserem Wohnzimmer recht gut zusammen: „I am going crazy.“ Als sie dann auch noch „White Christmas“ verhunzten, war der Ofen aus. „Sie grölen das Lied, als ob sie im Fußballstadion wären“, stöhnte Maeve. „Komm, jetzt reicht es. Schalt um auf MTV!“

Dann nahm der Abend doch noch ein versöhnliches Ende: Kaum hatten wir umgeschaltet, da berichtete der Moderator, daß der Landsitz der Kellys in Cobh soeben vollständig abgebrannt sei – 6 Millionen Mark in Rauch aufgegangen. Die Girls wälzten sich vor Vergnügen auf dem Boden. „Schade um die schönen Pyjamas“, kicherte Ciara. „Jetzt müssen die Kellys wieder aufs Hausboot. Am besten auf dem Amazonas.“

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