: Die Kunst des Vegetabilen
Urformen der Kunst. Eine Ausstellung von Karl Bloßfeldts Pflanzenfotografien, die Walter Benjamin und andere Zeitgenossen begeisterten ■ Von Klaus Englert
Als 1928 Karl Bloßfeldts „Urformen der Kunst“ erschienen, kommentierte Laszlo Moholy- Nagy: „Nicht der Schrift-, sondern der Fotografieunkundige wird der Analphabet der Zukunft sein.“ Für den Lichtkünstler Moholy- Nagy war mit den nüchternen Pflanzenaufnahmen Bloßfeldts eine neue Stufe des Sehens erreicht. „,Nicht mehr lesen! Sehen!‘ wird das Motto der Erziehungsfragen sein“ (Johannes Molzahn).
Der Künstler, dem diese Ehre galt, hat sich eher indifferent zu den neuen ästhetischen Paradigmen verhalten. Es hatte sogar den Anschein, daß ihn der Enthusiasmus der Avantgarde befremdete. Erst 1932, im Jahre seines Todes, hat Karl Bloßfeldt sich in dem Band „Wundergarten der Natur“ zu seinen Vorstellungen geäußert. Dort schrieb er, daß die Kunst einzig durch den „ewig unversiegbaren Jungbrunnen der Natur [...] eine befruchtende Anregung“ erfahren und einer „gesunden Entwicklung“ zugeführt werden kann. Die „heimische Pflanzenwelt“ stellte er sich vor als „Erzieherin zur Schönheit und Innerlichkeit“, um der „oft seelenlosen Gegenwartsgestaltung“ ein Ende zu bereiten. Walter Benjamin, der noch 1928 eine lobende Rezension der „Urform der Kunst“ veröffentlicht hatte, muß es die Sprache verschlagen haben. Derartige Äußerungen waren eher auf dem Niveau des Bundes für Heimatschutz.
Aufnahmen nur für didaktische Zwecke
Die Zeitgenossen Bloßfeldts muß besonders die unprätentiöse Darstellungsweise der Objekte interessiert haben. Als Motto galt Bloßfeldt eine unverfängliche, nicht stilisierende Naturbetrachtung, die mit dem Ornamentierungsdrang von Historismus und Jugendstil brechen sollte. Es mag verwunderlich klingen, daß die Aufnahmen lediglich für didaktische Zwecke an der Berliner kunstgewerblichen Lehranstalt entstanden, ohne daß der Autodidakt Bloßfeldt jemals Methode oder Sujet verändert hat. Stets geschieht die Aufnahme der vegetabilen Formen frontal oder in Aufsicht, in mittelachsensymmetrischer Anordnung, mit mehrfacher Vergrößerung, bei gedämpftem Tageslicht und neutralem Hintergrund. Fotografie war für Bloßfeldt nur ein Hilfsmittel und die schematisierte Aufnahmetechnik ein Weg, um die Studenten über die Beschäftigung mit den Naturformen zu kreativem Gestalten zu bewegen.
Auf der Brüsseler Bloßfeldt- Ausstellung, die Originalabzüge der Kölner Galerie Wilde, des Bonner Kunstmuseums und des Brüsseler Goethemuseums präsentiert, kann man dem Assoziationsreichtum seiner Pflanzenformen nachgehen. Das Palais des Beaux-Arts zeigt nicht nur Fotos von Bloßfeldt, sondern auch eine Werkschau des belgischen Jugendstil- und Art-déco-Architekten Victor Horta. Im Vergleich der architektonischen Arbeiten Hortas und der Fotografien Bloßfeldts erkennt man die innere Spannung von Natur und Kunstform. Beide Künstler vereint der Wunsch, das Artistische und das Vegetabile in der Natur herauszustellen.
Die Blume als Sinnbild der vegetativen Natur
Angesichts der Brüsseler Jugendstil-Gebäude Hortas, die von vegetabilen Gestalten wimmeln, und den als Urgestalten empfundenen Pflanzenformen Bloßfeldts offenbart sich die Rückversicherung der Moderne im Archaischen. Hier findet man nicht die lebendige Blume, sondern die „Blume als Sinnbild der nackten, vegetativen Natur“ (Walter Benjamin). Dolf Sternberger hatte einmal kritisch bemerkt, das Jugendstil-Haus gleiche einem Organismus, während der darin lebende Bewohner wie im Innern dieses Organismus eingefangen ist.
Die Zeit der Jahrjundertwende hat den Blick für die innere Formverwandtschaft zwischen technischen und natürlichen Formen geschärft. In Hortas Architektur bis 1902 wird gerade das Vegetative durch das neue, veränderbare Material Eisen dargestellt. Als symbolische Form fällt es aus dem Bereich der wechselhaften Geschichte heraus. Seine Verwandtschaft zeigt es zu den primitiven und elementaren Formen Ernst Haeckels, der in seiner „Generellen Morphologie der Organismen“ eine Einheit von organischer und anorganischer Natur begründete, die vor jeder Geschichte liegt. Gerade dies ist das Grundmotiv bei Horta und Bloßfeldt.
Die Brüsseler Ausstellung macht deutlich, daß es beiden keineswegs um das bloß Dekorative geht. Während in den Jugendstil- Bauten die architektonischen Elemente zu Symbolen der Natur werden, wird in den Fotografien Bloßfeldts die Naturbetrachtung von der überbordenden Fülle des Dekorativen gereinigt: Der historische Geist wird mit dem Auge der Kamera ausgetrieben. Hier folgte Bloßfeldt dem Ratschlag seines Lehrers M. Meurer, der sich von einem neuen Naturalismus eine „Erfrischung“ der Formenphantasie versprach. Nicht die pittoresken Erscheinungsformen der Pflanzenwelt sollen maßgebend sein, sondern eine gerade asketische Naturbetrachtung, die den einzelnen Gegenstand isoliert, um in den Vergrößerungen ihr Bauprinzip sichtbar zu machen.
Diese abstrahierende Reduktion auf das Bildungsgesetz der architektonischen Gestalt war für einige Kritiker Anlaß, Bloßfeldt zum Vorläufer der neusachlichen Fotografie zu küren. Denn nicht dem Malerischen und Erbaulichen galt Bloßfeldts fotografisches Interesse, vielmehr wollte er durch das Studium der Pflanze ihre Statik, Konstruktion und Tektonik untersuchen. Daß seine Herangehensweise künstlerische Virtuosität und die ästhetischen Vorlieben der Zeit ausschloß, war für ihn selbstverständlich.
Konstruktion, Statik und Tektonik
Man braucht nur die wie ein Astwerk auslaufenden Pfeiler in Hortas Hotel Tassel mit den berühmten Schachtelhalm-Aufnahmen mit ihren antiken Kapitellen, Säulenformen, Schaften und Bekrönungen zu vergleichen, um dem Geheimnis der Analogien auf den Grund zu kommen. Architektonische Analogien finden sich auch in den Dachkonstruktionen der Mohnkapseln, die Werner Lindner 1927 mit asiatischen Bauformen verglich. Bei all dem sollte man nicht die wunderschön seriellen Motive übersehen, mit denen Bloßfeldt arbeitete. Bei Koepinia linearis erzeugen sie animalische, bei Adiantum pedatum ornamentale und bei Hordeum distichon äußerst filigrane Strukturierungen.
Karl Bloßfeldt, Ausstellung im Palais des Beaux-Arts, Brüssel, bis 5.1.1997, Fotoband im Verlag Taschen
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