: „Klänge schauen Dich an!“
■ Zum 70. Geburtstag offenbarte Hans Otte seine ganze Vielfalt: musikalischer Archäologe, Komponist und Video-Installateur
Hans Otte ist ein fesselnder Redner. Wenn er in weittragendem Piano von Reisen an die Quellen der Klänge erzählt, hört das Auditorium gebannt zu. Betört folgt es dem Musikarchäologen, auch wenn in seinen Kompositionen vergessene und versunkene Reiche angepeilt werden.
So schloß auch am Sonntag ein großes Auditorium in der Galerie Katrin Rabus immer mal wieder die Augen, um sich beim Geburtstagsrencontre zu Ehren Hans Ottes in die Urgewalt des Einzelklangs zu versenken.
Über 30 Jahre Schaffen des Bremers stellte die Feier vor, von der „projektgruppe neue musik bremen“ und Katrin Rabus als repräsentativer Werkschnellkurs inszeniert. Da zeigten das frühe „face a face“ und abschließend Hochaktuelles aus dem „Stundenbuch“ die Entwicklung von experimenteller Konfrontation des Klavierklangs mit seinem magnetisch konservierten Ebenbild zu altersreifen Klangplastiken von reinster Ebenmäßigkeit und Selbstgenügsamkeit.
Da präsentierte die TV-Produktion „relief“ – von kundig Betroffenen im Parkett tuschelnd als „typisch Radio Bremen“ irgendwo zwischen Gesundheitswerkstatt und Mitternachtsnische identifiziert – den Video-Installateur Hans Otte: Zwei Körper, Mann und Frau, vom Hals bis Bauchnabel, vom Atmen bewegt, mal von oben, mal von unten beleuchtet, so daß der wohlgeformte Frauenkörper bisweilen Gesichtszüge annahm, die an kleine Wurzelmännchen erinnerten.
Da rezitierte die als Otte-Sängerin bekannte Sabine Mariß Texte des Komponisten, die dessen Abneigung gegen Duales, gegen Kontrast, gegen Systeme und verbale Herrschaften faßten. Doch Herzstück des Abends war Hans Otte selbst. Hier lief seine Kunst, die Verzahnung von Klang und Künden, richtig rund: „Klänge schauen Dich an.“
Freudig registriert Hans Otte, daß die musikalischen Systeme das einzelne Element von Funktion und Bedeutungsträgerschaft befreit haben, und erinnert, „daß Heiterkeit noch immer die beste Basis für alles Kreative ist“. Schließlich frustriert er die Begierden des Musikologen vollends mit analytisch schwer verwertbarer Selbstbeschreibung und –bescheidung: „Ich habe mich immer auf die Klänge gesetzt, die mir begegnet sind, und so bin ich hier gelandet in diesem Raum.“ Donnernder Beifall. Hans Otte zum 70., ein atmosphärisches Erlebnis, eine anhaltend frische Provokation unseres Lebens als Hörer. Reiner Beßling
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