„Dies ist kein politischer Streik“

Belgrads Arbeiter streiken für die Auszahlung ihrer Löhne. Ein Zusammengehen mit dem Oppositionsbündnis lehnen sie bislang ab. 40.000 Studenten demonstrieren gegen Prügel durch die Polizei  ■ Aus Belgrad Erich Rathfelder

Etwas zögerlich treten einige Dutzend Arbeiter des Belgrader Landmaschinenkombinats LMT an die Schranke des Werktors, um mit ihrer Demonstration zu beginnen. Schon seit dem frühen Morgen haben sich 300 Arbeiter versammelt. Die meisten bleiben jedoch auf dem Werksgelände.

„Dies ist kein politischer Streik“, dämpft Vojin Maluse, ein 45jähriger Gewerkschafter, die Hoffnungen von Belgrader Oppositionellen, die vor den Werkstoren gewartet haben. „Wir streiken um unsere ausstehenden Löhne.“ Seit langem hätte die 3.000köpfige Belegschaft monatlich gerade je 125 Dinar (rund 35 Mark) bekommen, im März, April und Mai sowie seit Oktober gar nichts. Den jungen Oppositionellen bleibt nichts, als die Botschaft zu akzeptieren. Die Aussichten der Opposition, mittels einer Streikbewegung den serbischen Präsidenten Slobodan Milošević aus dem Amt zu hebeln, sind damit vorerst gesunken. Die Arbeiter wollen sich bisher jedenfalls nicht in die politische Bewegung hineinziehen lassen. Vor zehn Tagen hätten sie die Regierung zur Zahlung der ausstehenden Löhne aufgefordert und mit einem Streik gedroht. Das ehemals große Kombinat, wo vor dem Wirtschaftsembargo täglich mehr als 200 Landmaschinen produziert wurden, steht aber ohnehin still. Die Arbeiter erscheinen zwar an ihrem Arbeitsplatz, die meisten jedoch haben nichts zu tun.

Sie verlangen vom Staat deshalb, die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme der Produktion zu schaffen. Die Gewerkschaften des Betriebes ziehen in dieser Frage an einem Strang. Eigentlich von der Metallgewerkschaft beherrscht, wurden in diesem Betrieb seit 1991 unabhängige Gewerkschaften gegründet. „Bei unserer Aktion spielt das aber keine Rolle. Wir haben eine gemeinsame, von allen getragene Strategie. Und die ist nicht politisch“, erläutert Vojin Maluse. „Wir wollen Brot für unsere Kinder und geheizte Räume in der Fabrik“, ruft ein junger Arbeiter dazwischen. Die soziale Lage der meisten Industriearbeiter hat sich in den letzten Jahren stetig verschlechtert. In den großen Industriezentren Belgrads, der Waffenschmiede Kragujevac, den Industriezentren in Niš oder dem Kohlezentrum Bor lagen die Löhne vor dem Krieg bei 1.200 bis 1.500 Mark, seither fielen sie rasant. Denn die Produktion mußte in den meisten Betrieben gestoppt werden. „In Niš“, einer Großstadt in Südserbien, so erläutert ein serbischer Journalist, „haben 90 Prozent der Belegschaften keine Arbeit mehr.“

Seit bekannt wurde, daß am 1. Januar 1997 ein Gesetz in Kraft gesetzt wird, daß es den Betrieben erlaubt, Mitarbeiter zu entlassen, geht die Angst bei den abhängig Beschäftigten um. Denn immerhin sind die Arbeiter als Betriebsangehörige noch sozial- und krankenversichert. „Bist du einmal entlassen, stehst du vor dem absoluten Nichts“, sagt Vuk Petrović, ein anderer Gewerkschafter. „Dann habt Ihr ja nichts mehr zu verlieren“, antwortet einer der jungen Oppositionellen. Die Arbeiter sagen nichts.

Im Hauptquartier der Opposition hoffen die Mitarbeiter auf Nachrichten über Streiks in anderen Regionen. Doch die bleiben aus. Die Studenten sind allerdings am Nachmittag zu ihrer bisher größten Demonstration mit 40.000 Personen angetreten. „Außer unserer Polizei darf uns niemand verprügeln“, ist das Tagesmotto der Demonstration. Und morgen will die Opposition noch ein Zeichen setzen. Zoran Djindjić, Chef der Demokratischen Partei, hat angekündigt, daß alle Oppositionsabgeordneten der Eröffnung des jugoslawischen Bundesparlaments fernbleiben werden.