Kommentar: Feige
■ Arbeiter wollten die Wahrheit wissen
Richtig böse war der Bremer Bürgermeister Scherf gestern fünf nach zwölf auf der Rathaustreppe, daß die Vulkan-Arbeiter ihm böse waren. Und verstand nicht, daß sie nun endlich einmal reinen Wein eingeschenkt haben wollten – nachdem Betriebsrat und Politik ihnen monatelang Hoffnungströpfchen in kleiner werdenden Dosen verabreicht hatten. Denen glaubten die meisten sowieso kein Wort mehr. Die IG Metall hatte am 6. Dezember im Gläubigerausschuß dabeigesessen, alles gehört und tat am 10. Dezember noch so, als seien sie überrascht.
Also die ganze Wahrheit aus dem Munde der Autorität wollten die Arbeiter von den Politikern, die sie gewählt hatten. Scherf kniff. Scherf gab Allgemeinplätze von sich, drehte sich, wandt sich, machte ein wenig Hoffnung – keine Rede von „Schließungsbeihilfe“, kein Wort davon, daß der Vulkan als Handelsschiffbau-Werft am Ende sei. Und dann ging er durch die verunsicherte Arbeitermenge hindurch aus dem Rathaus hinüber zur Bürgerschaft.
Die Arbeitervertreter, die schon am 6. Dezember nichts begriffen hatten, hatten auch diesmal nichts begriffen. Der Betriebsratsvorsitzende schickte die aufgebrachten Arbeiter nach Hause, sich abzuregen. Wußte der Mann nicht, daß Scherf zwei Stunden später vor der sicheren Kulisse der Bürgerschaft das verlesen würde, was er den Arbeitern nicht ins Gesicht sagen wollte? Klaus Wolschner
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