: Die Aura sei mit dir
■ Mit "Basquiat" verfilmt der Maler Julian Schnabel nicht nur den "ersten schwarzen Superstar der Kunst", sondern auch seine Wenigkeit und die Pop-art der Achtziger
Erstaunlich, daß seine Biographie erst jetzt verfilmt wurde. Wenn die Geschwindigkeit das Leben bestimmt, dann war Jean-Michel Basquiat eine Lichtgestalt. Er malte heftig, wild und schnell, verkaufte viel davon und starb mit 28 Jahren an einer Überdosis Heroin. Als schwarzer Künstler haitianischer Abstammung war er zum einen Aushängeschild für die Gipfelfahrt ethnischer Minderheiten, andererseits kam Basquiat nicht von ganz unten aus dem Ghetto. Seine Eltern gehörten vielmehr zur ersten Immigrantengeneration, die als Folge des Civil Rights Movement ins bürgerliche Lager aufsteigen konnte. Man wohnte in Brooklyn Heights, der Vater arbeitete als Steuerberater, mit der Mutter geht der gerade achtjährige Jean-Michel ins Museum of Modern Art.
Dort entdeckt er die moderne Kunst: Vor Picassos „Guernica“ bricht seine Mutter voller Melancholie in hysterische Tränen aus, und dem Jungen leuchtet plötzlich eine goldene Krone auf dem Kopf, während das gewaltige Bild ihn von oben herab anzublicken scheint. Die Aura sei mit dir – so wenigstens will es die Kameraführung –, und nun geh, Künstler, werde. Dem Kind zumindest gefällt die Apotheose, und es lacht. Wenige Minuten später ist die Mutter bereits im Sanatorium und ihr Sohn als rastabelockter Drop- out-Twen auf dem Weg, einer der berühmtesten Künstler der achtziger Jahre zu werden. Für fünf Jahre war SAMO König von New York, länger als Jeff Koons immerhin.
Die Szene steht in „Basquiat“ gleich zu Anfang, und sie paßt sehr in den romantischen Geniekult von Julian Schnabel, der wie David Salle mit „Search & Destroy“ und Robert Longo („Johnny Mnemonic“) als 80er-Jahre-Künstler zum Film gewechselt hat (Cindy Sherman wird demnächst mit einem Splatter folgen). Doch bei Schnabel geht die Versuchung nicht vom Medium aus, das merkt man rasch. Keine großen Spezialeffekte, keine Laubsägearbeit an den Zeitebenen, kein psychologischer Mummenschanz mit quälenden Nahaufnahmen – nur eine Bild für Bild erzählte Geschichte, in der manchmal ein Surfer auf einer viel zu blauen Welle über Manhattan niedergeht oder die Kamera psychedelisch durch die Baumwipfel fährt. Dazu brummt dann das Cello von John Cale oder ein alter New-Wave-Hit.
Selbst die Schauspieler kommen nicht aus dem Actors Studio: David Bowie soll Andy Warhol vor allem als müde Queen parodieren, den Rest an Pop besorgte das Warhol-Museum in Pittsburgh mit authentischen Perücken, Brillen und Lederjacken; Jeffrey Wright spielte vor Basquiat den Puck in Shakespeares „Mittsommernachtstraum“, und für Dennis Hopper als Galerist Bruno Bischofberger war es die erste größere Aufgabe seit dem „Waterworld“-Desaster.
Doch das alles stört nicht. „Basquiat“ handelt von Malerlegenden in New York, und da müssen klare, durchkomponierte Bilder reichen. Das wenigstens weiß Schnabel, schließlich war er selber eine.
Der International Herald Tribune hat ihn damals als „J. R. Ewing der Künste“ gescholten, bei Retrospektiven wird Julian Schnabel von der Presse gern zum Zitatepopmaler erklärt, der ohne viel Gefühl für Farbe seine Käufer mit großformatigen Gemäldeteppichen bedient. Gekränkt hat das Urteil Schnabel nie. Eher schon, daß sein Wert nach der Baisse am Kunstmarkt ziemlich gesunken ist. Was bleibt, ist die Geschichte, und da möchte selbst Schnabel seinen Platz finden – zur Not auch an einer schmucklosen Stellwand der Sammlung Marx in Berlins Nationalgalerie oder eben eingehakt Seite an Seite mit Jean-Michel Basquiat.
Bevor das junge Genie aus Brooklyn im Film daher seine ersten knalligen Hieroglyphenbilder ausstellt, sieht man Schnabel, nur dürftig als ein gewisser Albert Milo getarnt, mit der Galeristin Mary Boone seine Arbeiten diskutieren. Die Boone zickt (in New York hätte man sich für das Biest lieber eine junge Anjelica Huston gewünscht statt Parker Posey aus Gregg Arakis „Doom Generation“), und Gary Oldman nimmt es in der Rolle des Malerfürsten gelassen zur Kenntnis – ohne den Jähzorn von einem wie Markus Lüpertz, sondern ganz Bonhomme der New York School.
Überhaupt ist es dieser imaginäre Schnabel, der den ohnehin schon von Drogen ein wenig angeknacksten Basquiat in der Einsamkeit des Erfolges noch unterstützt. Die beiden essen gemeinsam Spaghetti in barock hergerichteten Atelieretagen, Opern werden gespielt; Basquiat pinkelt betrunken ins Treppenhaus, und Schnabel/ Milo erklärt seiner verschüchterten Tochter, das sie keine Angst haben muß vor dem wilden Schwarzen, der doch nur dasselbe tut, wie ihr Vater – nämlich leben, um zu malen.
Bei soviel tiefer Zuneigung ist es allerdings sonderbar, daß sich die beiden in Andy Warhols Tagebüchern doch nur selten begegnen. Noch am 25. Januar 1986 heißt es bei ihm: „Ging zu Julian Schnabel ... Er weiß nicht, wie er sich mir und Jean-Michel gegenüber verhalten soll.“ Warhol war derweil mit Basquiat zum Badeurlaub auf Hawaii gewesen und hatte erstaunt festgestellt, daß sein Begleiter neben einem „intuitiven Primitivismus“ auch „wirklich den größten“ mit sich herumtrug.
Über alles weitere schweigen die Tagebücher ebenso wie der Film. Nur als sich Basquiat schließlich alte Super-8-Filme anschaut, nachdem Warhol gerade gestorben ist, kullern ihm Tränen übers Gesicht. Tatsächlich sind die holprigen Warhol-Aufnahmen in ihrem überbelichtetem FiftiesRosa die zärtlichsten Bilder des gesamten Films.
Damit auch die Fakten stimmen: Kaum acht Jahre hielt die Karriere des schwarzen Künstlers Basquiat in der New Yorker Downtown-Szene an – einerseits Freund Andy Warhols, doch angefeindet vom Großteil der Kritikerschaft, die in seinen Bildern wenig Konzept und viel Geschmiere entdeckten.
Der sogenannte Neo-Expressionismus, wütete Thomas Lawson, sei in Wirklichkeit reaktionär, „eine retardierte Mimik, mit expressionistischer Direktheit präsentiert“. Dann schlug er speziell auf Basquiat ein: Seine Kunst sei unzivilisiert, unsublimiert und nur schwierig „in dem Sinne, wie ein ungezogenes Kind schwierig ist; das heißt, eine Kunst, die sich innerhalb eines streng definierten Rahmens von Konventionen danebenbenimmt“.
Ähnlich erklärte etwa Donald Kuspit 1981 in Artforum den Neo- Expressionismus, mit dem angeblich instinktive Gefühle und Sex womöglich befreit werden sollten, als komplett regressiv: „Die Enthüllung des Begehrens wird zu einer subtilen Unterdrückung, zu einem Kontrollmittel ... im Namen der Autorität.“ Nun ja, Foucault hatte die Malerei seinerzeit trotzdem gemocht. Schnabel dagegen klammert die Kritik völlig aus. Bei ihm gibt es nur schwuchtelige Sammler, gierige Galeristen und ein paar hübsche Frauen vom Slacker-Mäuschen Claire Forlani bis zur etwas beschlageneren Fem- Trash-Krähe Courtney Love, mit denen Basquiat schläft, wenn er nicht gerade auf dem Boden über seinen Totems grübelt. Er bleibt trotz Sex, Drogen und Malerei eher ein sanfter Charakter.
Aber der Abstand zur Geschichte macht es nicht einfacher, die Vergangenheit zu verstehen. Als Basquiat seine Graffiti mit ein paar sprayenden Kollegen das erste Mal 1980 bei der „Times Square Show“ zeigte, erklärten die Organisatoren der Ausstellung im Ton anständiger Kiez-Politiker, daß sie allein daran interessiert wären, „Situationen aufzugreifen, die Menschen außerhalb der Kunstszene aktivieren“. Kaum drei Jahre später hatte sich Soho in eine Luxuswohngegend verwandelt, aus der nach der großen Party ein paar Galerien, etwa die von Mary Boone, Leo Castelli oder Bruno Bischofberger, wie kleine Speckwürfel herauslukten. Und Basquiat arbeitete inzwischen mit Andy Warhol an „Collaboration Paintings“, das heißt, Warhol malte Popzeichen mit Schablonen auf, und Basquiat überstrich das Ganze wieder mit schwarzer oder weißer Farbe. Eine lustige Künstlerpaarung, irgendwann sagt Warhol auch im Film entnervt: „Ich weiß gar nicht mehr, was gut ist.“
Tatsächlich war der wilde Maler zwar jung und erfolgreich, aber für die Kunstgeschichte bedeutungslos geblieben. Eher schon hatte Basquiat seine Alibirolle als schwarzer Künstler im Betrieb spielen dürfen. Zur New Yorker „Black-Male“-Ausstellung vor zwei Jahren war er indes auch nur ein Beleg-Afro unter vielen, während man dort über René Greens „Cultural-Studies“-Arbeiten den Anschluß an die Konzeptschiene suchte, die doch mit Basquiat schon zu seinen Lebzeiten nichts anfangen konnte.
Wenigstens Schnabel wollte mit seinem Film etwas Wahrheit über den „ersten schwarzen Superstar der Kunst“ aufzeigen: „Er leuchtete weit, fing Feuer und brannte ab. Er wurde das, was er sein wollte, und er erfüllte das, was er nach seinem Publikum werden sollte. War sein Leben eine Tragödie? Ich weiß es nicht.“ Das sieht man in allen Bildern. Jean-Michel Basquiats SAMO-Kürzel stand jedenfalls für „same old shit“. Harald Fricke
„Basquiat“. Regie: Julian Schnabel. Mit Jeffrey Wright, Gary Oldman, David Bowie, Claire Forlani, Courtney Love, Christopher Walken. USA 1996, 106 Min.
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