: Die Qual der Erinnerung
■ „Trends des polnischen Kinos“ im polnischen Kulturinstitut
St. Petersburg um die Jahrhundertwende: Morbide Schattierungen von Preußischblau bis Kobalt umwölken das tragisch-klaustrophobische Melodram. „Lagodna“ („Die Sanfte“) ist der ästhetisch auffälligste Spielfilm der fünfteiligen Reihe des polnischen Kulturinstituts zu „Trends des polnischen Kinos“. Der Stoff, eine Dostojewski-Adaption, erzählt in Rückblenden das Debakel einer kurzlebigen Ehe, die, mehr von gegenseitigem Nutznieß und Abhängigkeit als von Zuneigung zusammengeführt, scheitern muß.
Mit einem Eisblock und dem Körper seiner toten Frau verbringt On die qualvoll heiße Nacht seiner Totenwache – und wird heimgesucht von Erinnerungsbildern: Der ersten Begegnung in der Pfandleihe, wo sie ihm die letzte Habe über den vergitterten Tresen schiebt, seinem geizigen Aufstapeln von Geldscheinen vor ihren kupplerischen Tanten, um sie heiraten zu dürfen und schließlich ihrem demütigen Siechtum.
Das Ambiente von Verfall und menschlicher Korruption des 1995 entstandenen Films ist natürlich unübersehbar ein Gleichnis auf vom Rubel (oder Zloty) beherrschter Zwischenmenschlichkeit. „Lagodna“ ist der zweite Film des 34jährigen Mariusz Trelinski, der bisher in der Hauptsache in Opern- und Theaterinszenierungen (Dostojewski, Boris Vian) Regie geführt hat. Den moralisierenden Hang, die Figur der jungen Ehefrau nach entsagungsvollem Leiden auch noch zur postumen Läuterungsgehilfin ihres Gatten zu verdonnern, kann das kaum erklären. Daß der in der englischen Fassung listig „Charity“ betitelte Film diese Andeutung von Ironie gänzlich vermissen läßt, macht die Sache nicht besser.
Davon allerdings hat „Spindel der Zeit“ reichlich. Launiger, zuweilen auch peinlicher Humor ist das Leitmotiv der unabhängigen Filmproduktion von Andrezej Kondratiuk. Mit der Schauspielerin und Ehefrau Iga Cembrzynska spielt Kondratiuk sich selbst im Wandel der Jahreszeiten. Man wohnt in einer Datsche am See, sieht sich beim Altern zu, versucht sich, als eine junge Actrice für Wein und Aktfotos vorbeischaut, in „menage à trois“, zupft sich am Bart und läßt lange Reden ab zum Filmemachen an sich. Insgesamt ein Aussteiger- und Altherrenfilm, der wenigstens die Chuzpe hat, sich „empfohlen für die Über- Vierzigjährigen“ zu nennen.
An die 50 Jahre zurück liegt die Handlungszeit von „Hauptmann Kwiatkowski“. Geschildert werden die authentisch verbürgten Taten eines polnischen Robin von Köpenick als komödiantisches Schelmenstück. Kwiatkowski, eigentlich Militärarzt, schnappt von einem hohen Funktionär des stalinistischen Geheimdienstes, den es auf seinen Operationstisch verschlagen hat, zufällig ein paar Namen und geheime Informationen auf. Vom Dienst entnervt, desertiert er und wird, unterstützt von seiner Jugendliebe und dem besten Freund, wieder per Zufall zu einem Befreier der Verschleppten und Bedrängten – ein Uniformträger wider Willen. Der Film von Kazimierz Kutz, der mit Polanski studierte und als Regieassistent bei Wajda anfing, ist dessen neunter Spielfilm.
Ein Jahr zuvor, 1994, nach einer 10jährigen Pause und unter schwierigen finanziellen Bedingungen, entstand „Der Tod wie eine Brotscheibe“, der jenseits filmischer Kriterien einzige ernstzunehmende Spielfilm zur Solidarność-Bewegung. Um archaische Gewaltigkeit bemüht, erzählt er getreulich die Ereignisse auf der Zeche „Wujek“, als in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1981 das Kriegsrecht verhängt wurde. Männer in Mänteln, die sich zum nächtlichen Ratschlag treffen, Kumpels, die aussichtslos ihr Werk verteidigen und denen schließlich auch die Kirche keinen Schutz mehr vor den anrückenden Wasserwerfern und der bewaffneten Miliz mehr bietet.
Nicht zu Unrecht sprechen die Veranstalter von „ästhetischer Ängstlichkeit“ und einem „Mangel an neuen Impulsen“. Die Gegenwart, so belegt die Reihe, läßt im polnischen Kino wohl noch auf sich warten. Gudrun Holz
Bis 19. 12., jeweils 19 Uhr im Mink- Kino, Karl-Liebknecht-Straße 7. Die Regisseure Kutz und Trelinski sind anwesend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen