Mohn im Ofen vorgetestet

■ Und doch explizit nicht Tante-Emma: Der „Colonialwarenladen“ im Ostertor

ugenschmaus schon im Schaufenster: Safran, Kardamom, Curry, zu kleinen Pyramiden aufgetürmt, leuchten bunt. Ausgesuchter französischer Senf, Grünkern in kleinen Holzschubladen. Mit dem Schritt in den „Colonialwarenladen“ am Ostertorsteinweg bricht dann sozusagen das 19. Jahrhundert an: Die Holztäfelung aus Eiche reicht bis an die Decke und macht den Laden etwas dunkel. Schwer stellen sich die Augen auf das diffuse Licht um. Jetzt müßte nur noch die Zeit still stehen. Zeit, um die Augen schweifen zu lassen über Jugendstilverzie-rungen, getrocknete Papaya und Weihnachtsnu-deln in Mond-und-Sterne Form in den Regalen.

Von einem Foto neben dem Schild mit den Öffnungszeiten lächeln Günther und Irmtraud Schwiering: die Inhaber des Ladens. Es gibt sie auch live. Die Deutsche Welle, russische Sender, chinesische und norwegische Zeitungen, das Fernsehen und viele mehr berichteten bereits über ihr Geschäft. Günther Schwiering sammelt im Bauch eines alten Stehpults, an dem schon der Großvater die Geschäfte führte, Korrespondenzen und Zeitungsartikel aus der ganzen Welt. „In jedem Reiseführer und jedem Buch über Bremen sind wir drin, manchmal tauchen samstags hundert Touristen auf.“

Doch auch Schwiering' Bremer Kunden lieben den Laden und so manche Oma weiß, daß die Mutter schon ihre Tütchen Kardamom hier einkaufte. Ein kurzer Schnack über allerlei und Werder ist immer drin – anders als in den Supermärkten. Ob Pflaumen oder Leinsamen bei Bauchbeschwerden, oder das Rezept für einen echten Klaben ... die Schwierings haben die Zutaten und das Hausrezept. „Da wird man manchmal als Apotheker oder als Doktor ins Vertrauen gezogen“, schmunzelt der Ladeninhaber.

Die Hausrezepte wurden wie der Laden in alter Familientradition weitergegeben. 1903 hatte der Großvater von Günther Schwiering, ehemaliger Lehrling der Familie Holtorf, den Laden übernommen. Nachdem Günther Schwierings Onkel im 2. Weltkrieg gefallen war, übernahm der Vater den Laden. Schwiering erinnert sich, daß die Modernisierungswelle in den 50ern für den Großvater kein Thema war: „Ihm reichte der Colonialwarenladen aus. ‘In‚ waren jedoch Kleinsupermärkte, so wie in Amerika eben.“ Damals konnte man am Dobben noch viele Läden mit Holzeinrichtungen finden, allerdings nicht im Jugendstil, sondern nur im 20er und 30er Jahre Stil. Schwiering hat sie nach und nach alle auf den Gehsteig wandern sehen: Endstation Sperrmüll. Die 60er, weiß er noch gut, waren schwere Jahre, der Laden wirkte einfach alt.

Mit der Nostalgiewelle der 70er wurde aber dann alles anders. Von RTL bekam der Kolonialwarenladen 1976 gleich eine Tante-Emma-Laden-Urkunde verliehen, die heute im Schaufenster zu bewundern ist. In dieser Zeit schenkte auch Udo Jürgens den Schwierings ein Selbstporträt in Öl, das Günther Schwiering zwar aufbewahrt, „aber für das Schaufenster ist das nix. Zu kitschig.“ Mit der Schrift zur Wand „Ich weiß wo ich noch Kunde bin, ich geh zu Tante Emma hin – Ihr Udo Jürgens“ steht das Ölgemalde in einer Ecke des Kontor.

Günther Schwiering kennt den kleinen Unterschied: „Ein Tante-Emma-Laden ist unser Laden nun wirklich nicht. Schließlich werden hier keine Schnürsenkel verkauft. Und auf dem Land sind wir auch nicht.“ Exotisches, Gewürze, getrocknete Papaya oder Orangenmarmelade aus Südafrika verkauft er. „Für uns gibt es keine Konkurrenten, sondern nur Mitstreiter“, sagt der Ladenchef. Mitstreiter im Warenangebot sind für den Colonialwarenladen seit den 30ern die Reformhäuser. Die Bio-Läden, kann man durchhören, begreifen die Schwierings schon eher als Konkurrenten. Auch sie verkaufen teilweise unverpackte und „garantiert natürliche“ Waren.

Der Chef gibt sich zufrieden, spricht aber auch von Schwierigkeiten mit Großhändlern wie Ubena. Schnell hat er ihre aktuelle Absage in der Hand, ihm weiterhin Gewürze unverpackt zu liefern. Zu Weihnachten hätte er auch gerne bittere Mandeln angeboten. Doch Mengen wie 50 Kilogramm kann er dem Großhändler nicht abnehmen – dieses Jahr daher nur Bittermandelöl in Fläschchen. Großhändler allgemein sind nicht mehr auf kleine Läden eingerichtet, und trotzdem – erzählt Günther Schwiering – läßt er es sich nicht nehmen, den Mohn in der Vorweihnachtszeit erst dann beim Großhändler zu kaufen, wenn seine Frau ihn im eigenen Backofen getestet hat. „Auch neuen Honig probiere ich erst, bevor ich ihn bestelle“.

Das Müsli des Hauses ist der Kassenrenner. Täglich gehen 60 Kilo über den Tresen. Eine Patientin in einem Sanatorium in Koblenz bittet um postalische Zusendung. „Nicht selten der Fall“, meint Schwiering, „machen wir auch mal gerne.“ Anke Schmidt-Bratzel