: Die Traumfrau ist rund!
Sechs HDK-Studenten füllen eine Marktlücke – Das Mode-Label für die selbstbewußte und mollige Frau heißt „LAB.L-curvation“■ Von Kirsten Niemann
„Schmale Hüften, breite Schultern – wie ich sehe, gehören Sie dem Y-Typ an!“ Die Verkäuferin einer Berliner Boutique für Übergrößen ist ganz offensichtlich bemüht, ihre junge Kundin fachkundig zu beraten. „Da betonen wir die Oberkörperpartie. Sie sollten also Shoulderpads tragen und am besten noch dieses Halstuch.“
Die Kundin heißt Yvonne von Zeidler-Nori und ist eine attraktive Endzwanzigerin mit sogenannten Problemzonen zu verfügen. Lose schlabbert nun ein Kleid Marke „Blütenzelt“ an ihrem Körper. „Sehen Sie? Alles sitzt ganz locker, es paßt immer und kneift nie.“ Die Verkäuferin ist zufrieden. Die Kundin, die von Y-Formen nichts wissen will, fühlt sich in dem so begeistert Outfit weniger wohl.
Obwohl etwa zwei Drittel aller Frauen nicht dem von den Medien und Werbebildern geprägten Modelmaßen mit Konfektionsgrößen von 34 bis 38 entsprechen, werden dickere Frauen immer noch zur Randgruppe stigmatisiert und mit Klischees behaftet. Schlanksein ist in unserer Gesellschaft meist immer noch die Voraussetzung, um attraktiv, begehrt und erfolgreich zu sein. Müssen also Frauen, die der Schlankheitsnorm nicht entsprechen, sich demnach nicht für weniger attraktiv, weniger begehrt und sogar inkompetent halten?
Mit fünf weiteren Kommilitonen des Instituts für Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation der HdK hat Yvonne von Zeidler- Nori sich nun der Aufgabe angenommen, das Image der molligen Frau gründlich zu korrigieren. Denn eine qualitative Umfrage der StudentInnen hat ergeben, daß das persönliche Bild über dicke Frauen der in den Medien propagierten Meinung widerspricht: Sowohl Männer als auch Frauen halten die Mollige für individuell, schön und sinnlich. An alle, die es also noch nicht kapiert haben: Die neue Traumfrau ist keine Bohnenstange, sondern eine selbstbewußte Frau, die sich ihrer reichlichen Kurven nicht zu schämen braucht. „VISUelle“ heißt die Imagekampagne der Studenten, die sie im Rahmen der Projektwoche ihres Fachbereichs Mitte November erstmals der Öffentlichkeit vorstellten.
Mit sozialkritischen Pamphleten und moralinsauren Merksätzen wie „Auch dicke Frauen können schön sein“ oder: „Mager-Models leben ungesund“ läßt sich das neue Schönheitsideal sicherlich nicht prägen. „Wir behandeln den Aspekt der Imageverbesserung der runden Frau als Produkt“, erklären die Studenten ihren Ansatz. Und das geht in erster Linie über eine entsprechende Optik: Genau genommen über die Werbung mit Modebildern. Denn die Werbewelt der Mode ist schließlich immer noch am besten dazu geeignet, ein aktuelles Lebensgefühl zu vermitteln. Das Konsumprodukt Mode verbindet Trend, Individualität und weibliche Identität. Mode ist also das ideale Produkt, um ein positives Image der runden Frau zu vermitteln.
Doch wenn sich eine Frau, deren Konfektionsgröße jenseits der 40er Marke liegt, entsprechend einkleiden will, endet es in der Regel in dem bereits eingangs erwähnten Desaster: „Extraweit“, „Dick aber Schick“, „Starke Lady“, „Mollyschick“, „Sally Sahne“ – allein die Namen der Boutiquen und Modelabels, die ausschließlich ein Modeprogramm für die Frau jenseits der Konfektionsgröße 38 anbieten, lassen Böses ahnen. Schlimm genug, daß sie mit Vorbehalten und Klischees gegenüber seiner Trägerin operieren. Obendrein sind die Kleider durchweg unschön und im pastellenen Schlabberlook gehalten. Als müßte die dicke Frau ihren Körper verstecken, verhüllen die Stoffberge jede natürliche Rundung.
„Schulterpolster und Halstücher sind anscheinend unvermeidlich“, mußte also auch Yvonne feststellen. „Mit Mode hat das, was die Läden anbieten, nichts zu tun. Das ist bestenfalls Bekleidung.“ Zeidler-Noris Kommilitonin Kathrin Rebsamen, die neben ihrem Studium an der HdK in der Szene- Boutique „Wicked Garden“ jobbt, bringt das Problem auf den Punkt: „Wenn Designer Mode für Mollige entwerfen, dann entbehrt das in der Regel jeglicher Paßform. Die nehmen dann schlanke Schnitte und machen sie durch eine Zunahme von Stoff entsprechend weiter. Das funktioniert aber nicht!“ Das Angebot geht lediglich auf die Bedürfnisse der Frau ab 40 ein; trendige Mode für Frauen zwischen 25 und 35, so können wir erfahren, ist eine Marktlücke.
In Zusammenarbeit mit sechs Berliner Modedesignern ist endlich eine Modekollektion für die mollige Frau entstanden, die durchaus Platz neben den anderen Top-Labels in den Boutiquen finden kann. Zehn Outfits sind bereits als Einzelstücke hergestellt. Dabei handelt es sich um eine Pret-à-Porter-Ware, die Stil und Individualität zeigt und vor engen Paßformen nicht zurückschreckt. Zu große Extravaganzen wurden dennoch bewußt vermieden, um die runde Frau nicht zu sehr an das Klischee der „Ulknudel“ zu rücken. Der Name des Labels: „LAB.L“ – mit dem Zusatz „curvation“. „LAB.L“ – das klingt nicht nur wie „La Belle“, die Schöne, sondern vermittelt außerdem Geradlinigkeit und Fortschritt. Zudem kann es als Abkürzung für „Laboratory“, das „Labor“ verstanden werden. Die neue Wortschöpfung „curvation“ – ein Spiel mit den Begriffen „curve“, „creation“ und „fascination“ – symbolisiert dagegen Dynamik und Bewegung. In der Werbung sollen die runden Models frei, selbstbewußt, gepflegt und dynamisch in einem hellen, geräumigen Ambiente auftreten. Die Botschaft: Unsere Mode macht die junge, runde Frau schön und selbstbewußt. „Mode, die die schönen Seiten des Rundlichen betont“, so sieht die Designerin Tanja Schilling das Ergebnis der Kollektion, „zeigt, daß die Nichtmodelfrau eine gute Figur machen kann.“ Die DesignerInnen bewerteten die Arbeit an dieser Kollektion durchweg positiv. Bislang ist „LAB.L-curvation“ noch fiktiv.
Obwohl die Reaktionen auf die Kampagne ausschließlich positiv waren, hat sich trotz intensiver Bemühungen noch kein Sponsor für „LAB.L-curvation“ und die damit verbundene Imageverbesserung der runden Frau gefunden. Dabei wurde für das Label ein Umsatz von jährlich 71 Millionen Mark errechnet – der Werbefeldzug der Einführungskampagne käme höchstens auf fünf Prozent dieser Summe. Mit der Schweizer Uhrenfirma „Omega“ gibt es weltweit überhaupt nur einen einzigen Betrieb, der sich klar gegen die Propagierung von „Magermodellen“ und „Magermode“ ausspricht. „Dabei wollen wir ja gar nicht behaupten, daß nur dickere Frauen schön sind“, erklärt Kathrin Rebsamen das Ziel des Projekts. „Wir wollen eigentlich nur ein erweitertes Schönheitsbild schaffen: das der runden Traumfrau.“
„Wäre es selbstverständlich für die fülligere Frau, ihre Üppigkeit sexy zu betonen, engere Kleidung zu tragen und mehr Haut zu zeigen, Farbe zu bekennen, extravagant und avantgardistisch zu wirken“, beschreibt der beteiligte Modemacher Andreas Remshardt die Situation, „dann würde unsere Gesellschaft auch sehr schnell ein anderes Bild bekommen. Wirkt eine Frau selbstsicher, dann wird sie auch nicht mehr angegriffen.“
Kontakt VISUelle: Kathrin Rebsamen, Sorauer Straße 6, 10997 Berlin. Tel.: 6122701
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen