: Vorweihnachtliche Besinnungslosigkeit Teil IV und Schluß
„Lokomotivführer wollte ich nie werden. Dafür entweder Günter Netzer oder Jimi Hendrix. Beides hat nicht so ganz hingehauen, aber es gibt Schlimmeres. Immerhin darf ich mich heute den ganzen Tag mit Fußball beschäftigen und nun genau die Stücke zusammenstellen, die in meinen Ohren seit Jahren ihren festen Platz haben.
Früher hab ich sowas für meine Freunde gemacht (und für meine Freundinnen): Die ultimativen Lieblingsstücke, die ganz privaten ewigen Charts zusammenschneiden. Heute muß ich das nicht mehr selber machen. Zum Glück – denn ich hätte, ehrlich gesagt, keine Zeit, auf meinem privaten Tape-Deck hunderttausend Kopien dieser Compilation zu ziehen. In der Hoffnung, daß unsere Geschmäcker nicht verschieden sein mögen, wünscht Ihnen viel LAUTEN Spaß, Ihr Reinhold Beckmann“ (Liner Notes der CD Ich steh auf Rock, präsentiert von Reinhold Beckmann, BMG Ariola).
Kinderträume hatte er nie. Schon von klein auf war Deutschlands lautester Sportreporter ein Rebell. Mit der Gitarre auf dem Rücken zog er umher und brabbelte Kommentare fiktvier Fußballspiele. Netzer – immer wieder Netzer! – war der Held in seinen Phantastereien. Beckis Mitmenschen hörten meist gar nicht mehr hin, wenn er redete.
Aus Klein-Reinhold wurde dennoch der große SAT.1-Sportchef. Jetzt darf er vor Millionen Zuschauern allsonnabendlich über Fußball salbadern. Seine schillernden Metaphern, seine blitzenden Wortspiele ertragen wir, um die paar dazwischengeschnittenen Fußballberichte sehen zu können.
Jetzt will der Berufsjugendliche auch als Musik-Rakete abheben. Erfolglos war er immer gewesen mit seinen Kassetten für Freunde und Freundinnen. Niemand wollte das Mainstream-Gedudel hören. Mittlerweile tritt Beckmann sogar als sein eigener Werbepausenclown auf. Mit Lederjacke und Drei-Tage-Bart preist er seine 18-Knaller-CD an. Die mediale Dauerpräsenz wird Wirkung zeigen. Hunderttausende werden sagen: Ich steh auf Rock!
Sie werden mit Pur ins „Abenteuerland“ reisen, mit Fool's Garden auf den „Lemon Tree“ kraxeln, und John Farnham singt dazu „You're The Voice“, die Hymne für alle nach Zuspruch geifernden Moderatoren.
Und Cher wünscht sich „If I Could Turn Back Time“. Wäre auch für Beckmann nicht schlecht. Dann könnte er noch mal von vorn anfangen. E Spohd
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