: Die Nahverkehrslüge
■ Hamburgs Stadtkasse profitiert von der Regionalisierung
Für SPD-Bürgermeister Henning Voscherau und SPD-Verkehrssenator Eugen Wagner waren sie von Beginn an ein böser Anschlag auf die Kassen des Stadtstaates Hamburg: die neuen Finanzierungsregeln in Sachen Nahverkehr, welche im Zusammenhang mit der Bahnreform von 1994 und der 1996er Regionalisierung des öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV) zwischen Bund und Ländern vereinbart wurden. Das Altherrenduo beklagte sich gleich mehrfach über die Kostenverlagerung in Richtung Bundesländer. Und, politisch konsequent: Hamburg stimmte im Bundesrat als einziges Bundesland gegen die Bahnreform.
Heute, wo die Fakten in den Haushaltsplänen von Stadt, HVV und Verkehrsunternehmen auf dem Tisch liegen, zeigt sich: Voscherau und Wagner haben sich – glücklicherweise – grandios geirrt. Bahnreform und die ÖPNV-Regionalisierung haben die Nahverkehrsfinanzen der Stadt um fast 100 Millionen Mark pro Jahr verbessert. Die direkten Bundeszuschüsse für den Nahverkehr kletterten von einst rund 100 auf bald 140 Millionen Mark. Durch die Regionalisierung des öffentlichen Nahverkehrs beteiligt sich das Umland an den HVV-Defiziten – mit derzeit 25 Millionen Mark.
Ein weiteres Wachstum ist programmiert, nachdem jetzt endlich auch Nordniedersachsen dem reformierten HVV beigetreten ist. Und: Der Reformdruck durch die Regionalisierung des Nahverkehrs hat bei der verkrusteten Hamburger Hochbahn AG (HHA) enorme Einsparpotentiale freigelegt. Nachtaz-Informationen dürfte die HHA bereits 1997 auf jährliche Einsparungen von 20 bis 30 Millionen Mark kommen. Die Möglichkeiten für eine Offensive beim öffentlichen Personen-Nahverkehr haben sich damit erheblich verbessert, zumal die Stadt ab 1998 auch mit der Bundesbahn in Sachen S-Bahn Tacheles reden kann. Bisher erhält die S-Bahn 133 Millionen Mark Defizitzuschuß jährlich von der Stadt, obwohl Experten gerade hier Einsparpotentiale von mindestens 20 Millionen Mark sehen, die zumindest in Leistungsverbesserungen gesteckt werden könnten.
Während die Mehrzahl der deutschen Bundesländer die bessere Ausstattung mit Nahverkehrsmitteln zu einer deutlichen Verbesserung ihres Angebotes nutzt, so etwa Rheinland-Pfalz, Bayern oder Nordrhein-Westfalen, benutzt Hamburg die zusätzlichen Mittel ausschließlich zur Sanierung der Stadtkasse. Grüne Kritiker, die einst vor dieser Mißbrauchsmöglichkeit warnten, hatten recht – zumindest für Hamburg.
Florian Marten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen