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„Wir befreiten Helgoland“

■ René Leudesdorff war einer von zwei Studenten aus Heidelberg, die 1950 Helgoland friedlich besetzten und so die Briten zwangen, die Insel an die evakuierten Bewohner zurückzugeben

Helgoland, am 20. Dezember 1950: Zwei junge Studenten aus Heidelberg besetzen bei klirrendem Frost die Insel. Die „friedlichen Invasoren“ wollen erreichen, daß die Allierten die Bombenversuche, mit der diese die vom Krieg verwüstete Insel weiter zerstören, einstellen und Helgoland an seine evakuierten Bewohner zurückgeben. Mit der abenteuerlichen Aktion der Studenten Georg von Hatzfeld und René Leudesdorff rückt die Helgolandfrage schlagartig in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Durch ihre gewaltfreie Aktion erzwingen sie die Rückgabe der Insel durch die Briten am 1.3.1952. Über Abenteurertum und zivilen Ungehorsam sprach die taz mit René Leudesdorff, Journalist, Pastor und Autor des historischen Krimis „Wir befreiten Helgoland“.

taz: Wie kamen ausgerechnet Studenten aus Heidelberg darauf, Helgoland zu besetzen?

René Leudesdorff: Es war schon eine Mischung aus Abenteurertum und Spontanität, die uns da getrieben hat. Und, das Thema Helgoland lag in der Luft, weil es mit seiner Geschichte so etwas wie ein nationales Symbol war. Aber wir hatten damals auch die Remilitarisierungdebatte im Kopf, und es ging uns um das Heimat- und Menschenrecht der Helgoländer.

Ihre abenteuerliche Aktion mutet heute fast naiv an. Hatten Sie Vorbilder?

Wir haben uns damals auf Ghandi berufen: Unsere Waffe ist, daß wir keine haben. Es war die erste gewaltfreie Besetzung nach dem Krieg in Europa. Wir wußten, daß diese Besetzung nur eine symbolische Handlung sein konnte.

Wie ging Ihre „friedliche Invasion“ praktisch vonstatten?

Die Idee kam am 8. Dezember 1950 auf, und am 20. waren wir schon auf der Insel. Das ging so gut, weil wir gute Drähte zu Presseleuten hatten, über die wir Kontakt zu den helgoländer Fischkuttern, die uns rübersetzten, bekamen. Außerdem brauchten wir Geld. Der spätere Chefredakteur der Zeit, Müller-Marein, hat uns das vorgestreckt. Übrigens gegen den Rat von Henry Nannen, der sagte: 'Die beiden sind komplett verrückt.' Wir sind dann bei Windstärke 7 mit einer Nußschale von Schiff rüber.

Und dann saßen Sie frierend auf der leeren Insel, bevor es die nächsten Bombenversuche geben sollte?

Nach zwei Tagen sind wir wieder weg. Wir waren nicht gut genug ausgerüstet und hatten einen Inselkoller, worüber die Zeitungen natürlich spotteten. Aber wir sind nach Weihnachten wieder hin, und dann weitete sich das Ganze aus. Durch die Presse alarmiert stießen andere Leute zu uns, zuletzt waren wir sechzehn.

... bis Sie die Insel widerstandslos verließen.

Wir haben das im Kreis der Besetzer richtig demokratisch beschlossen und sind von selbst gegangen. Die Parole war: Wir weichen der Gewalt, die uns von den Briten angedroht worden war. Wir wußten, daß die öffentliche Meinung hinter uns stand. Nach unserem Abgang wurde die Helgoland-Debatte auf höchster britischer Eben fortgesetzt. Nach einem sechswöchigen Tauziehen hat der Hohe Komissar Ivone Kirkpatrick durchgesetzt, daß die Insel mit einer Frist von einem Jahr freigegeben werden mußte.

Wie reagierte die deutsche Bevölkerung auf Ihre Besetzung?

Es gab eine Kette von Verweigerungen, als es darum ging, gegen uns vorzugehen. Heute nennt man das zivilen Ungehorsam. Das Polizeikommando, das uns holen sollte, hat sich dienstunfähig getrunken, die Kieler Regierung sagte: 'Wir haben keine zuverlässigen Polizisten.' Viele Leute haben sich gesperrt, haben den Briten die Amtshilfe verweigert, um unsere Verhaftung zu verzögern. Ein Bild ging damals durch die Presse: Das Polizeikommando, das uns unbewaffnet von der Insel begleitete, salutierte vor uns: 'Wir grüßen die tapfere Besetzung von Helgoland.'

Sehen Sie sich als Vorläufer von „Green Peace“?

Nicht unbedingt, aber wir sind oft als solche bezeichnet worden. Vielleicht wegen dieser Form der gewaltfreien Demonstration und der Zusammenarbeit mit den Medien. Das war damals neu.

Haben die Helgoländer Ihnen ein Denkmal gesetzt?

Wir sind „Ehrenbadegäste“ und brauchen keine Kurtaxe zahlen. In den Publikationen werden wir meistens nur mit einem Foto gewürdigt. Ich glaube, man erwähnt uns nicht gerne, weil wir nicht aus der nationalen Ecke kamen. Die psychologische Erklärung könnte sein: Die Helgoländer hätten ihre Insel selbst befreien wollen. Von Hatzfeld sagte mal: 'Das haben die uns nie verziehen.' Das ist nicht ganz ernst zu nehmen, denn die Helgoländer benehmen sich uns gegenüber anständig.

Bis zur Rückgabe der Insel war die Monatsschrift „Helgoland“ des Schriftstellers James Krüss wichtig für den Zusammenhalt der verstreuten Gemeinde.

James Krüss war Helgoländer und Cosmopolit. Er hat seine Landsleute als unpolitisch charakterisiert. Aber sie hingen sehr an ihrer Insel, 90 Prozent sind zurückgekehrt. Sicher wäre Helgoland irgendwann auch ohne unsere Aktion frei gewesen, aber durch diese „gewaltfreie Invasion“ haben wir eine Welle der Begeisterung erzeugt, was auch großzügige Wiederaufbauhilfen nach sich zog.

Fragen: Beate Hoffmann

Der Dokumentarfilm „Wer befreite Helgoland“ von Kurt Denzer und Thorsten Schmidt ist am 18.12. um 21 Uhr im Kino 46 zu sehen.

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