: Atommüll spaltet das Ökoinstitut
■ Hauskrach in der Expertenorganisation der Umweltbewegung. Drei Gründungsmitglieder gehen
Hannover (taz) – Die Kritik von Wissenschaftlern des Ökoinstituts am Gorlebenprotest zeigt Wirkung: Das Institut verliert seine Gründerväter. Weil sie die Vorwürfe des Darmstädter Atomexperten Michael Sailer an den angeblich „sinnlosen“ Castor-Blockaden keineswegs teilen, haben die Ökoinstitut-Prominenten Günter Altner, Gerd Michelsen und Stephan Kohler jetzt ihren Austritt dem Trägerverein des Instituts für angewandte Ökologie angekündigt.
Die Professoren Michelsen und Altner, beide Mitgründer des 1977 aus dem Anti- AKW-Protest entstandenen Instituts, scheiden auch aus dem wissenschaftlichen Kuratorium des Ökoinstituts aus, deren Sprecher bzw. Mitglied sie bis zuletzt waren. Stephan Kohler koordinierte von 1981 bis 1991 den Fachbereich Energie des Instituts.
Alle drei begründen ihren Austritt mit dem taz-Interview von Michael Sailer. Sailer hatte dem Gorlebenprotest vorgeworfen, mit den Castor-Blockaden letztlich nur für die Wiederaufarbeitung des bundesdeutschen Atommülls im Ausland zu sorgen. „Diese Position fällt den Bürgerinitiativen, vor allem der in Gorleben, in den Rücken und ist auch sachlich falsch“, erklärten sie übereinstimmend gegenüber der taz. An der Inbetriebnahme des Gorlebener Zwischenlagers entscheide sich die Alternative Wiederaufarbeitung oder direkte Endlagerung nicht. Die Energieversorgungsunternehmen, die inzwischen bereits Verträge über eine Zwischenlagerung in Frankreich abgeschlossen hätten, wollten sich ohnehin beide Optionen offenhalten. Dabei spiele das Gorlebener Zwischenlager vor allem die Rolle eines Preisdrückers. Die drei langjährigen Mitglieder des Ökoinstituts erinnerten auch daran, daß gerade das Ökoinstitut bereits in den siebziger Jahren prinzipielle Probleme der Atommüllentsorgung dargestellt habe. „Erst den Ausstieg beschließen und dann über die Entsorgung verhandeln“ lautet weiterhin ihr Credo. Altner warf Sailer außerdem vor, dieser renne „in das offene Messer der Energiewirtschaft“. Die Energieversorgungsunternehmen würden sich bereits in Zeitungsanzeigen seiner Argumentation bedienen.
Der Geschäftsführer des Ökoinstituts, Uwe Ilgemann, bedauerte gestern den angekündigten Austritt der drei langjährigen Mitglieder. „Ich halte die Austrittsankündigung für verfrüht, da die Streitpunkte institutsintern noch diskutiert werden und es dazu nicht unbedingt eine einhellige Meinung gibt“, sagte Ilgemann. Der Geschäftsführer bot Altner, Michelsen und Kohler ausdrücklich Gespräche über die strittigen Fragen an und nannte sie „drei Persönlichkeiten, die für das Institut sehr wichtig sind“.
Allerdings hatten sich die drei vor ihrem Austritt bereits zweimal schriftlich an das Ökoinstitut gewandt, ohne eine klärende Antwort zu erhalten. Altner und Michelsen, der in den siebziger Jahren erster Geschäftsführer des Instituts war, gehörten in den achtziger Jahren dem Vorstand des Instituts an und waren abwechselnd Sprecher dieses Gremiums.
Das Institut entstand aus dem erfolgreichen Protest gegen das AKW Wyhl. Damals glaubte der zunächst aus der ländlichen Bevölkerung bestehende Widerstand, daß es zur Durchsetzung ökologischer Politik von Industrie und Staat unabhängiger Wissenschaftler bedürfe. Dafür gründeten zahlreiche Bürgerinitiativen und engagierte Einzelpersonen das Ökoinstitut. Heute hat es rund 70 Mitarbeiter in Freiburg, Darmstadt und Berlin. Jürgen Voges
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