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Kleine Sünden bringen Geld

■ Richter entscheiden frei, ob Bußgelder in die Staatskasse oder an Vereine gehen

Nun liegt sie vor: die Sündenbilanz 1995. Fast 2 Millionen Mark haben 1995 die Bremer Richter und Staatsanwälte den Straffälligen in den Gerichtssälen Bremens und Bremerhavens abgenommen.

Wohin das Bußgeld fließt - in die Staatskasse oder an gemeinnützige Vereine -, entscheiden Richter und Staatsanwälte nach ganz persönlichem Ermessen. Richtlinien oder allgemeine Vorgaben gibt es dabei nicht.

Diesen Mangel begründet Rolf Hoffmann, Rechtspfleger und Geschäftsleiter der Generalstaatsanwaltschaft, damit, daß der Verwaltungsaufwand für eine solche Kriterienliste unüberschaubar wäre. Dennoch, man würde es gerne wissen, warum 1995 insgesamt 872.234 Mark in die Staatskasse geflossen sind. Oder warum gerade die Drogenhilfe Bremen 1994 41.900 Mark bekommen hat und 1995 nur 2.000 Mark. Bei einem Gesamtvolumen von 1 Million Mark Bußgelder, die an die Vereine 1995 geflossen sind, eine berechtigte Frage.

Oberstaatsanwalt Dr. Christian Tietze war bereit zu antworten. Er entscheidet sich für eine Bußgeldzuweisung in die Staatskasse z.B., wenn das Gerichtsverfahren hohe Übersetzungs- oder Gutachterkosten erforderte. Manche Kollegen, so Dr. Tietze, haben da ganz andere Kriterien: geht es der Stadt Bremen schlecht, so finden sie, soll Bußgeld in die Staatskasse fließen. Oder gerade andersherum: bei mieser Landespolitik bekommen die Vereine das Geld und nicht die Staatskasse.

Doch welcher Verein hat es nötiger? Greenpeace oder der Turnverein Vegesack? Auch das obliegt allein dem Ermessensspielraum der Richter und Staatsanwälte. Oberstaatsanwalt Tietze versucht dabei, meistens Wünsche der Angeklagten miteinzubeziehen. Vereine wie die Deutsche Krebshilfe, die sowieso viele Spendeneinnahmen haben, berücksichtigt er selbst weniger. Eher schon mal den Lüssumer Turnverein, der auch Hilfen für Straffällige anbietet.

Täglich, so Tietze, kommen mindestens zwei Briefe von Vereinen, die um Unterstützung bitten. Viele werden einfach abgelegt, andere dann schon mal berücksichtigt.

Eine „Gemeinsame Liste“ von Vereinen, die seit 1974 jedes Jahr erneut für die Richter und Staatsanwälte zusammengestellt wird und die offengelegte Bußgeldjahresbilanz sollen die Geldflüsse, so Rolf Hoffmann, transparent machen. „Die Verteilung auf die Vereine regelt sich von selber. Jedes Jahr sind andere stärker berücksichtigt“, meint Hoffmann.

Vorbei sei die Zeit, in der Richter vorwiegend – weil naheliegend – gemeinnützige Vereine förderten, in denen sie selbst Vorsitzende waren. Heute können sie sich an der Liste von 500 Vereinen orientieren und auch andere unterstützen. Doch wer überprüft's? Niemand. Und was machen die Vereine mit dem Geld? Die Drogenhilfe Bremen hat sich 1994 gefreut, weil sie Projekte fördern konnte, die im Pflegesatz der Krankenkassen nicht enthalten waren. 1995 reichen die 2.000 Mark dafür nicht aus – aber freuen tun sie sich immer, meint Margret Strecker.

Rechnen könne man mit dem Bußgeld nicht, erzählt Klemens Dankwart vom „Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr e.V.“. Sein Verein nutzt das Geld für zusätzliche Vorträge und Aufklärungsarbeit. 1995 hat sein Verein laut Statistik 67.000 Mark erhalten. Im Jahr zuvor sogar 83.000 Mark.

Aber mit Statistiken sei das so eine Sache: „ Von den offiziell zugewiesenen 70.000 sind nur 30.000 eingetroffen, da die Angeklagten ihre Bußgelder oft nicht zahlen und die Prozesse erneut aufgenommen werden. Oft wird das Geld nur in Raten über Jahre gezahlt.“

Anke Schmidt-Barzel

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