piwik no script img

Ein Wolf von vielen

Versuchter Mord und sexueller Mißbrauch von Kindern: Zwölf Jahre Haft und geschlossene Psychiatrie für den Rentner aus Jersbek  ■ Von Lisa Schönemann

Der „kleine Opa“, als den Luisa ihren Peiniger beschrieben hat, gleicht mitnichten dem „schwarzen Mann“, vor dem Kinder gewarnt werden. Er ist freundlich und eigentlich viel zu alt, als daß von ihm eine Gefahr ausgehen könnte. Davon war auch die damals 15jährige Stefanie überzeugt, als sie 1992 zu ihm ins Auto stieg.

Der Mann, dem sie mit knapper Not entkam, der zwei Jahre später die neunjährige Luisa und die elfjährige Jenny vergewaltigte, wurde gestern vom Hamburger Landgericht wegen versuchten Mordes und sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu zwölf Jahren Haft verurteilt und soll in die Psychiatrie eingewiesen werden. Obwohl sich eines der Opfer und viele Angehörige im Saal befanden, ließ der Angeklagte auch die letzte Gelegenheit, Reue zu zeigen, reglos verstreichen. Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm er das Urteil an.

Von April bis Dezember dauerte der Indizienprozeß gegen den unscheinbaren 64 Jahre alten Rentner. Der humpelnde Kettenraucher hatte die Taten bis zuletzt bestritten. Als Luisa im Spätsommer 1994 entführt und 36 Stunden lang schwer mißhandelt und mißbraucht wurde, will er ein Rendezvous mit einer Taxifahrerin gehabt haben. Doch die Zeugin verneinte vor Gericht, an dem betreffenden Abend bei ihm gewesen zu sein. Stefanie, der er ein Messer an den Hals setzte, will er nur über den Rücken gestreichelt haben. Dann sei sie wie von Sinnen davongerannt.

Allein Jenny, die er in seinem Auto zum Oralverkehr zwang und deren Blut Sachverständige auf der Rückbank des Wagens entdeckten, will er tatsächlich entführt und sexuell genötigt haben. Gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen hat er gleichzeitig betont, sich weder an das Gesicht des Mädchens noch an den Vorfall erinnern zu können. „Habe ich das KZ Theresienstadt überlebt, um einem kleinen Mädchen so etwas anzutun?“ soll er gefragt haben.

Der Psychiater hat ihm eine „ausgeprägte sexuell perverse Symptomatik mit pädophilen Tendenzen“ und „sadistische Neigungen“ bescheinigt. Die Richter der Großen Strafkammer 6 folgtem seinem Gutachten und erkannten aufgrund der tiefgreifenden Persönlichkeitsstörung auf verminderte Schuldfähigkeit. Die sofortige Einweisung in die geschlossene Psychiatrie ist an den Schuldspruch gekoppelt.

„Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind trotz seines Alters weitere Straftaten zu erwarten“, so der Vorsitzende Richter Rüdiger Goebel in seiner Urteilsbegründung. Die therapeutischen Möglichkeiten und Chancen auf eine Heilung seien zwar gering, aber irgendwie müsse „die Allgemeinheit ja geschützt werden“. Die vom Angeklagten angewandten Praktiken seien „besonders erniedrigend“ gewesen, so Goebel, „Praktiken, die gerade für ein Kind nicht schlimmer vorstellbar sind.“

Luisa träumte nach der Tat nachts immer wieder von einem Wolf, der sie verfolgte. Ein Wolf wurde jetzt gefangen. Die anderen sind noch unterwegs.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen